Wird 2023 das Wendejahr im Kampf gegen den Klimawandel?
Das fossile Zeitalter geht zu Ende. 2023 könnte die Welt an einem historischen Wendepunkt stehen. Die Menge an Treibhausgasen, die für die globale Stromproduktion entstehen, könnte ab diesem Jahr dauerhaft sinken.
Zu dieser Einschätzung kommt der Thinktank EMBER in seinem Global Electricity Review 2023. Darin stellt EMBER jährlich die Stromerzeugungsdaten von mehr als 200 Ländern zusammen. Damit erhalten wir einen tiefen Einblick, wo die Energiewende in der Stromproduktion gelingt – und wo nicht. Ohne Zweifel wird die Entwicklung der Kohle- und Gas-Kurve zeigen, ob die Welt die Energiewende schaffen kann. Nur das Ende des fossilen Zeitalters wird darüber entscheiden, wie lebenswert die Zukunft der Menschheit wird.
Turboantriebe der Energiewende
Die Produktion von Strom durch Windkraft- und Solarenergie hat im Jahr 2022 global um 19 Prozent zugenommen. Damit haben diese beiden regenerativen Energiearten mittlerweile ein Anteil von 12 Prozent an der weltweiten Stromproduktion. Die Dynamik des Zubaus von neuen Windkraftanlagen und Photovoltaikelementen wird in den kommenden Jahren exponentiell ansteigen, so die Analysten von EMBER. Grund dafür seien nicht nur die notwendige Reduzierung von Treibhausgasemissionen bei der Stromproduktion, sondern vor allen Dingen die Kosten der produzierten Energie. Der Wendepunkt der Wirtschaftlichkeit von regenerativen Energien bei der Stromproduktion im Vergleich zu fossilen Energieträgern sei schon seit längerer Zeit überschritten, habe aber nun ein Niveau erreicht, das eine Ausrichtung hin zu Wind- und Sonnenstrom unumgänglich macht.
Die Länder-Champions-Liga der Energiewende
Viele Länder zeichnen sich seit vielen Jahren durch ein stetiges Wachstum beim Zubau von regenerativer Stromerzeugung aus. Dazu zählt auch Deutschland mit seinem bereits sehr hohen Anteil von Strom aus erneuerbaren Energiequellen von etwa 50 %. Allerdings stehen wir nicht an der Spitze der Champions, weder in absoluten Zahlen noch bei dem Neubau neuer Anlagen, denn unser Anteil stagniert. Die größten Sprünge gab es in China, Vietnam, Dänemark, Kenia, Portugal und Chile. Weltweit gibt es auch Länder, die kaum Fortschritte machen. In Saudi-Arabien, Libyen oder Turkmenistan kommt nach wie vor 100 Prozent des produzierten Stroms aus fossilen Quellen. Auf der anderen Seite gibt es auch Staaten, deren Strommix schon seit Jahrzehnten fast komplett ohne fossile Quellen auskommt, wie zum Beispiel Schweden, Finnland, Island, die Schweiz oder Norwegen. Weniger beachtete Ländern wie Costa Rica, Bhutan, Paraguay oder die Zentralafrikanische Republik gehören ebenfalls zum "Club der fossil-freien".
Alle diese Länder erzeugen einen sehr großen Anteil ihres Stroms aus Wasserkraft. In einigen Ländern wird die Wasserkraft noch durch Atomkraft ergänzt. Frankreich ist mit einem Atom-Anteil von fast 70 Prozent weltweit singulär. In der Analyse von EMBER wird die Kernkraft richtigerweise als nicht-fossile Energiequelle genannt, ohne aber die schlechtere CO₂-Bilanz von Atomstrom, die Probleme der Endlagerung und die Havarie-Gefahren zu betrachten.
Stromproduktion als entscheidender Faktor
Die Stromerzeugung gilt weltweit als eine der größten Herausforderungen beim Klimaschutz. Etwa ein Viertel der weltweiten CO₂-Emissionen kommen heute aus der Stromerzeugung. Die Bedeutung von immer mehr verfügbarem Strom tangiert auch viele andere Bereiche. Einer davon ist die Mobilität, denn immer mehr Fahrzeuge sollen künftig mit Batterien fahren. Auch die Wärmegewinnung über strombetriebene Systeme soll stark zunehmen, indem mit Elektrizität betriebene Wärmepumpen Häuser heizen. Die industriellen Prozesse sollen über Grünen Wasserstoff als Energiequelle umgestellt werden, der wiederum vor allen Dingen aus Windkraft erzeugt wird. Die mit einer Wende beim Klimaschutz verbundenen Lösungen hängen alle mit der Voraussetzung zusammen, dass der Strom aus emissionsfreien Quellen kommt.
Die gegenwärtige Bilanz scheint schwierig. Die Stromproduktion wandelt sich in vielen Ländern nur langsam, denn Kraftwerke für fossile Energiequellen wurden in der Vergangenheit für einen jahrzehntelangen Betrieb gebaut. Weltweit steigt der Stromverbrauch stark an. Zwar hat sich der Anteil des aus erneuerbaren Energien produzierte Stroms stark erhöht, aber auch der Stromkonsum nahezu verdoppelt. Dies hat dazu geführt, dass auch im Jahr 2022 die Emissionen aus der Stromerzeugung weiter angestiegen sind.
Ein Datenanalyst bei EMBER hat darauf hingewiesen, was passiert wäre, wenn der steigende Strombedarf nur durch fossile Energien gedeckt würde. Er wies darauf hin, dass die Emissionen des Stromsektors im vergangenen Jahr um 20 Prozent höher gewesen wären, wenn es keinen so hohen Zubau an neuen Windkraft- und Solaranlagen gegeben hätte. Der Mehrbedarf an Strom wurde im vergangenen Jahr zu 92 Prozent von erneuerbaren Energien gedeckt. In der Prognose denke EMBER, dass im laufenden Jahr dieser Anteil auf mehr als 100 Prozent steigt und damit auch fossile Energieträger ersetzt werden. Dies stellt nach Ansicht der Analysten den Wendepunkt dar, ab dem die weltweiten Treibhausgasemissionen aus der Stromproduktion sinken.
Die Tatsache, dass die großen Emittenten von CO₂, also China, die USA, die EU-27 und Indien konsequent eine Politik der Transformation zu regenerativen Energiequellen bei der Stromproduktion verfolgen (siehe dazu meine Artikel zur Klimapolitik dieser Länder) lässt hoffen, dass aus dieser Ansicht die neue Realität bei der Stromerzeugung wird.