Weltbank-Bericht: 21 Prozent mehr Wohlstand, 20 Prozent weniger Natur – das paradoxe Wachstum der Weltwirtschaft
Man sollte denken, dass in Ländern mit hohem BIP auch mehr Geld für den Schutz natürlicher Ressourcen vorhanden ist. Doch es ist genau andersherum. Ein Weltbank-Bericht zeigt nun, was sich ändern muss.
Während der reale Wohlstand pro Kopf weltweit um etwa 21 % gestiegen ist, ist das erneuerbare Naturkapital wie Wälder, Meeresfischerei und Mangroven um mehr als 20 % zurückgegangen. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Bericht der Weltbank.
Dennoch steht das BIP zunehmend in der Kritik: Viele Ökonomen halten es für ungeeignet, um die wirtschaftliche Gesundheit eines Landes abzubilden. Auch Fragen der Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung werden vernachlässigt. So misst das BIP zwar den Umfang der inländischen Produktionstätigkeit, berücksichtigt aber nicht die Kosten dieser Produktion, beispielsweise durch Umweltverschmutzung oder -schäden.
The Changing Wealth of Nations
Darum hat die Weltbank nun einen Bericht veröffentlicht, der sich mit genau dieser Frage befasst. In „The Changing Wealth of Nations (CWON) 2024“ der gleichnamigen Weltbank-Initiative wird gezeigt, welche Vermögensformen es tatsächlich gibt und wie diese bei der realen Wohlstandsmessung berücksichtigt werden müssten.
Dem Bericht zufolge sind es fünf Komponenten des Gesamtvermögens, welche die Nachhaltigkeit einer Entwicklung realistisch abbilden: Neben dem produzierten Kapital – also der Produktionsleistung des BIPs – müssen noch nichterneuerbares Naturkapital, erneuerbares Naturkapital, Humankapital und Nettoauslandsvermögen berücksichtigt werden.
Erneuerbares Naturkapital wären etwa landwirtschaftliche Flächen, Wälder und Fischbestände. Nichterneuerbares Kapital sind Ressourcen wie Öl, Erdgas und Mineralien.
„Der Umfang dessen, was für das BIP zählt, ist ziemlich eng definiert, um Fragen im Zusammenhang mit Dingen wie dem Bundeshaushalt und der Höhe der Steuereinnahmen zu beantworten“, erläutert Eli Fenichel, Knobloch Family Professor für Ökonomie natürlicher Ressourcen und Mitautor des Berichts.
Ein nicht abnehmender Wohlstand sollte dabei eine Mindestanforderung sein. „Ich denke, wir wollen, dass Einkommen, Produktion und Wohlstand steigen – und auch darüber nachdenken, wie dieser Wohlstand auf Vermögensgruppen und Menschen verteilt ist“, so Fenichel.
Deutliche Unterschiede bei BIP und realem Wohlstand
Dem CWON-Bericht zufolge stieg weltweit der reale Wohlstand zwischen 1995 und 2020 durchschnittlich um etwa 21 % an, wobei lediglich zwei Drittel der 151 untersuchten Länder ein Wachstum verzeichneten. 27 Länder hingegen verzeichneten einen Rückgang oder nur geringe Veränderungen. – Im Gegensatz dazu nahm das reale BIP pro Kopf jedoch im gleichen Zeitraum in allen Regionen um etwa 50 % zu.
Der Anstieg lässt sich durch die rasche Urbanisierung und die wachsende Zahl der weiblichen Arbeitsmarktteilnehmenden erklären, besonders im Nahen Osten, in Nordafrika, Lateinamerika und der Karibik.
Während das Humankapital und das produzierte Kapital im letzten Vierteljahrhundert um 9 % bzw. 47 % gestiegen sind, ist das erneuerbare Naturkapital – das sich bei nachhaltiger Bewirtschaftung regenerieren sollte – weltweit um mehr als 20 % zurückgegangen, was laut Fenichel wahrscheinlich noch zu niedrig angesetzt ist.
Dieser Rückgang war aber nicht überall gleich stark: In der Subsahara-Region, im Nahen Osten und in Nordafrika ging das Naturkapital pro Kopf um etwa 40 % zurück, während Südasien etwa ein Drittel verlor. Die Länder mit hohem Einkommen verzeichneten die geringsten Verluste: 8 % für Europa und Zentralasien, 18 % für Nordamerika.
Grund für den Rückgang ist eine Übernutzung nahezu aller natürlichen Ressourcen wie Wälder, Meeresfischerei und Mangroven. Die Meeresfischbestände pro Kopf sind seit 1995 um mehr als 45 % gesunken, sodass sich ihr Anteil am erneuerbaren Naturkapital inzwischen fast auf null befindet.
Generell machen Länder mit niedrigem Einkommen und mittlerem Einkommen der unteren Einkommenskategorie, in denen die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, nur 7 % des globalen Wohlstands aus.
Die Erkenntnisse des Berichts könnten darum maßgeblich die globale Vermögens- und Wohlstandsmessung verbessern – und somit zur nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Dessen ist sich auch Fenichel sicher: „Nachhaltigkeit bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart zu erfüllen, ohne die Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu gefährden. Es ist wirklich ein niedrigeres Kriterium, da es nicht bedeutet, dass die Menschen heute oder morgen ein gutes Leben haben, sondern lediglich, dass sich die Dinge nicht verschlechtern.“