Vegan: ja! Gesund: nein? Darum werden vegane Lebensmittel zunehmend kritisiert – Ernährungsexperten klären auf

Viele Verbraucher entscheiden sich aus gesundheitlichen, moralischen oder ökologischen Gründen für eine vegane Ernährung. Die Lebensmittelindustrie hat auf diesen Trend reagiert und eine ganze Reihe sogenannter Fleisch- und Molkereianaloga entwickelt. Doch wie gesund und nachhaltig sind die veganen Alternativen?

Vegane Produkte
Vegane Produkte ersetzen oft Lebensmittel tierischen Ursprungs. Bild: Pixabay

Vegane Lebensmittel werden als Fleischersatz und Lifestyle-Nahrungsmittel immer beliebter. Ernährungsexperten warnen jedoch davor, die ultrahochverarbeiteten pflanzlichen Produkte mit normalen Lebensmitteln gleichzusetzen.

Ultrahochverarbeitete Lebensmittel (Ultra-processed Food, UPF) sind industriell hergestellte Nahrungsmittel, die in der Produktion mehrere Verarbeitungsschritte durchlaufen, wodurch die natürlichen Basiszutaten biochemisch verändert werden. UPFs stehen in der Kritik, für die meisten Zivilisationskrankheiten verantwortlich zu sein.

Spanische Wissenschaftler haben nun in einer Studie untersucht, welche Risiken mit dem Verzehr pflanzlicher UPFs zusammenhängen und welche Perspektiven im Umgang mit veganen Ersatzprodukten sinnvoll sind.

Bedeutung tierischer Lebensmittel und veganer Alternativen

Lebensmittel tierischen Ursprungs (Animal-sourced Foods, ASF) wie Fleisch, Milch und Eier sind reich an essenziellen Nährstoffen wie hochwertigem Protein, Vitamin B12, Eisen und Zink. Besonders in Entwicklungsländern tragen ASF erheblich zur Bekämpfung von Mangelernährung bei und fördern die physische und kognitive Entwicklung, insbesondere von Kindern.

Während die WHO darum einen moderaten Fleischkonsum empfiehlt, wird ein übermäßiger Verzehr von verarbeitetem Fleisch mit Krankheiten wie Darmkrebs in Verbindung gebracht.

Wegen zahlreicher berechtigter ethischer und ökologischer Bedenken bei der ASF-Produktion bietet die Lebensmittelindustrie vegane Alternativen an, wie Tofu, Seitan und pflanzliche Milchprodukte. Um Geschmack und Textur von tierischen Lebensmitteln zu imitieren, werden die Lebensmittel jedoch oft intensiv verarbeitet und zahlreiche Zusatzstoffen bei der Produktion hinzugesetzt. Viele der Produkte werden dadurch zu UPFs, deren gesundheitliche und ökologische Bilanz ambivalent ist.

„Die Beweggründe erwachsener und selbstbewusster Verbraucher, ASF zu meiden, sind zwar vielfältig und respektabel, doch sollten ihre Entscheidungen auf der Grundlage eines informierten Szenarios getroffen werden“, argumentiert Mario Estévez, Ernährungswissenschaftler an der Universidad de Extremadura und Hauptautor der Studie.

Ernährungsphysiologische Herausforderungen veganer Produkte

Die Nährstoffqualität veganer UPFs ist im Vergleich zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs oft eingeschränkt: Essenzielle Nährstoffe wie Vitamin B12, Eisen und bestimmte Aminosäuren fehlen oder sind weniger (bio-)verfügbar, was das Risiko von Mangelerscheinungen erhöht. Die Proteinqualität pflanzlicher Alternativen ist durch die intensive Verarbeitung beeinträchtigt, da es zu einer Oxidation von Proteinen kommen kann, die die Verdaulichkeit reduziert und möglicherweise gesundheitsschädliche Stoffwechselprodukte erzeugt.

Darüber hinaus sind tierische Proteine bei der Sättigung und Appetitkontrolle wirksamer als pflanzliche. Vegane UPFs enthalten häufig zusätzliche Fette und Zucker, die den Geschmackswert erhöhen, aber gesundheitliche Nachteile mit sich bringen.

Fleischersatz
Als Fleischersatz dienen oft Tofu und Seitan. Bild: Pixabay

Studien deuten zudem darauf hin, dass der vollständige Verzicht auf ASF bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, wie Kindern oder Schwangeren, das Risiko von Nährstoffdefiziten erhöhen kann.

Ökologische Aspekte und Konsumentenverhalten

Auch ökologisch kann die Herstellung veganer Ersatzprodukte herausfordernd sein: Während der Anbau pflanzlicher Rohstoffe wie Soja klimafreundlicher ist als die Produktion von Fleisch, können die langen Transportwege von Importware sowie die energieintensive Verarbeitung von Tofu und anderen Alternativen wiederum erhebliche CO₂-Emissionen verursachen.

Ein Nebenprodukt der Tofu-Produktion, die sogenannte Tofu-Molke, muss zudem aufwendig entsorgt werden. Solche Abfälle belasten die Umwelt und mindern die vermeintliche Nachhaltigkeit der Produkte.

Der Umsatz mit Fleisch- und Milchalternativen hat in den letzten Jahren stark zugenommen, allerdings zeigen erste Entwicklungen, insbesondere in den USA, einen rückläufigen Trend: Verbraucher äußern zunehmend Bedenken hinsichtlich der stark verarbeiteten Inhaltsstoffe und der nicht eingelösten Versprechen veganer Produkte in Bezug auf Gesundheit und Nachhaltigkeit.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass vegane UPFs zwar tierische Lebensmittel ersetzen können, jedoch oft weder über die gleichen sensorischen oder ernährungsphysiologischen Eigenschaften verfügen. Vegane Produkte enthalten häufig Zucker, oxidierte Fette und minderwertige Proteine. Ihre Herstellung widerspricht in vielen Fällen den Maximen von Natürlichkeit und Nachhaltigkeit.

Vegane Alternativen sind zwar eine legitime Möglichkeit, ethische und ökologische Herausforderungen der ASF-Produktion anzugehen. Die Nachahmung von Fleisch durch pflanzliche UPFs ist derzeit jedoch teilweise paradox, da sie trotz ihres gegenteiligen Anspruchs oft nicht das Ideal an Gesundheit und Nachhaltigkeit erfüllen.

Eine zukunftsfähige Lebensmittelproduktion muss sich daher auf unverarbeitete pflanzliche Lebensmittel und innovative, nährstoffreiche sowie umweltfreundliche Alternativen konzentrieren, schlussfolgern die Wissenschaftler. Verbraucher sollten fundierte Entscheidungen treffen, und die Lebensmittelindustrie ist gefordert, nachhaltigere Lösungen zu entwickeln.

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Quellen:

Mario Estévez, A. Arjona, G. Sánchez-Terrón, J. Molina-Infante, R. Martínez (2024): Ultra-processed vegan foods: Healthy alternatives to animal-source foods or avoidable junk? Journal of Food Science, 89, 11, https://doi.org/10.1111/1750-3841.17407