Stabilitätsprüfung des westantarktischen Eisschilds! Befindet es sich auf dem Weg in einen Kipppunkt?
Ein zweiteiliges Wissenschaftspapier hat dokumentiert, dass der marine Eisschild in der Westantarktis bislang nicht destabilisiert ist. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass er sich möglicherweise auf dem Weg zu einem Kipppunkt befindet.
Die riesigen Eismassen der Antarktis sind weit weg von uns. Und doch können sie auch in unseren Breitengraden eine Rolle spielen, denn sie speichern genug Wasser, um den Meeresspiegel rund um den Globus um etliche Meter anzuheben. Ein europäisches Team von Antarktis-Forschenden hat nun die erste systematische Stabilitätsuntersuchung des antarktischen Eisschildes in seinem derzeitigen Zustand vorgenommen und in einer zweiteiligen Studie veröffentlicht. Die gute Nachricht ihrer Analyse: es gibt bislang keine Anzeichen für einen sich selbst verstärkenden, unumkehrbaren Rückgang des Eisschildes. Allerdings betonen ihre Berichte, dass die bisherige globale Erwärmung bereits ausreichen könnte, um einen langsamen, aber unaufhaltsamen Eisverlust der Westantarktis über die nächsten Hunderte bis Tausende von Jahren auszulösen.
Wie entfernt ist die Zukunft?
Eine der Forscherinnen, Ronja Reese vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Northumbria University, Newcastle betonte lt. einem Pressebericht des PIK: »Da die Antarktis in den vergangenen Jahren mehr und mehr Eis verloren hat, wurden Bedenken laut, ob nicht bereits ein Kipppunkt überschritten wurde, der zu einem irreversiblen, langfristigen Kollaps des westantarktischen Eisschildes führen würde.« Die Ergebnisse der beiden zusammengehörenden Studien würden zum einen zeigen, dass im derzeitig beobachteten Rückzug bei einer Reihe von Gletschern in der Antarktis keine Anzeichen für einen irreversiblen, sich selbst verstärkenden Eisverlust, festzustellen war. Dieses Ergebnis als Ist-Aufnahme war für das Forschungsteam zunächst beruhigend. Allerdings würden weitere Berechnungen zeigen, dass ein unumkehrbarer Rückzug des Eisschildes in der Westantarktis bereits unter aktuellen Klimabedingungen möglich sei.
Die Ursache des möglichen Einverlustes
Hauptursache für den Eisverlust in der Westantarktis ist warmes Ozeanwasser. Dieses beschleunige, so die Forschenden, das Schmelzen unter den Eisschelfen, den schwimmenden Ausläufern des auf dem Untergrund aufliegenden Eisschildes. Deren Schmelzen könne den Eisverlust verstärken, indem es die Gletscher und Eisströme im Inland beschleunige. Ein beschleunigter Rückzug der Aufsetzlinien könne ein Hinweis auf einen möglichen Zusammenbruch großer Bereiche jener Teile des westantarktischen Eisschildes, die auf Grund unter dem Meeresspiegelniveau liegen.
Mithilfe von Eisschildmodellen suchten die Forschenden nach Anzeichen für einen gegenwärtigen Rückzug in den marinen Teilen des antarktischen Eisschildes. Sie führten hypothetische Simulationen durch, mit denen ermittelt werden sollte, wie sich der Eisschild über 10.000 Jahre entwickeln könne, wenn die derzeitigen Klimabedingungen unverändert blieben. Diese Experimente deuten darauf hin, dass selbst ohne zusätzliche Erwärmung über das heutige Maß hinaus die Gefahr bestehe, dass einige marine Bereiche des westantarktischen Eisschildes langfristig kollabieren. Da jedoch das Eis nur langsam auf Veränderungen reagiere, würde ein solcher Eisrückgang den Modellen den Forschenden zufolge frühestens in 300 bis 500 Jahren unter den gegenwärtigen Klimabedingungen eintreten.
Julius Garbe vom PIK, ebenfalls Mitglied des Forschungsteams betonte: »Die Krux beim durch die Antarktis verursachten Meeresspiegelanstieg ist, dass die Veränderungen nicht über Nacht eintreten und eine unmittelbare Bedrohung für die weltweiten Küstengebiete darstellen.« Der Prozess des Abschmelzens werde sich über Hunderte oder Tausende von Jahren hinziehen. Unser Handeln heute könne aber nach Meinung der Forschenden in mehreren Jahrtausenden einen globalen Meeresspiegelanstieg von einigen Metern verursachen. Eine stärkere Erwärmung in der Zukunft werde diesen Prozess sogar noch beschleunigen.
Das PIK hat auch grafisch-visuelle Erläuterungen zu Kipppunkten veröffentlicht.
Fazit
Eine der größten Unsicherheiten bei der Vorhersage des globalen Meeresspiegelanstiegs bleiben weiterhin die Veränderungen des Eisverlustes in der Antarktis. Das Eis der Antarktis ist ein ultimatives Erbe der Vergangenheit. Es ist Jahrmillionen alt und wird nicht ohne Grund sehr oft als »ewiges« Eis bezeichnet. Es ist gut zu wissen, dass das Forschungsteam in seinen beiden Studien die Westantarktis als (noch) nicht destabilisiert sieht. Dies lässt uns allen die Chance, das Risiko des Erreichens von Kipppunkten durch ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen zu mindern. Das Eisschild der Westantarktis ist ein solcher Kipppunkt. Hoffen wir, dass die politischen Entscheider der Welt das nicht nur wissen, sondern auch verstehen – und endlich verbindliche Beschlüsse fasse, die die Treibhausgasemissionen wie vom Weltklimarat gefordert bis 2030 drastisch reduziert.
Bemerkung: Der Weblink zu den beiden Artikeln ist im Artikel verlinkt. Bitte beide Links beachten.