Spike-Protein des Coronavirus: Haben Wissenschaftler den Schlüssel zur Erforschung von Long-COVID gefunden?

Forscher haben entdeckt, dass das sich das Spike-Protein des Coronavirus langfristig in den Hirnhäuten sowie im Knochenmark des Schädels ablagert. Die Studienergebnisse stellen einen ersten Hoffnungsschimmer bei der Behandlung von Long-COVID dar.

Atommodell des Coronavirus
Atommodell der äußeren Struktur von SARS-CoV-2, einem Stamm des Coronavirus. Jeder einzelne Fleck stellt ein Atom dar: Virushülle (kobalt), Hüllproteine (purpurrot), Matrixproteine (grün), Glucose (Glycane) (orange), Spike-Proteine (grün). Bild: N+1/Alexey Solodovnikov, Valeria Arkhipova/Wikimedia Commons

Eine neue Studie legt nahe, dass das Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus, Auslöser der Coronapandemie, noch lange nach einer Infektion im Körper verbleibt – insbesondere in den Hirnhäuten und im Knochenmark des Schädels. Forschende sehen darin nicht nur eine Erklärung für Long-COVID-Symptome, sondern auch einen möglichen Ansatzpunkt für neue Therapien.

Long-COVID ist eine längerfristige gesundheitliche Beeinträchtigung im Anschluss an eine SARS-CoV-2-Infektion, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen anhält. Die Symptome sind sehr uneinheitlich und umfassen beispielsweise starke Erschöpfungszustände (Fatigue), Kurzatmigkeit und neurologische Beschwerden.

Die Forscher des Institute for Intelligent Biotechnologies (iBio) von Helmholtz München konnten erstmals nachweisen, dass das Spike-Protein in diesen Bereichen des Körpers langfristig nachweisbar ist. – Bei einem Spike-Protein handelt es sich um eine nach außen ragende Proteinstruktur auf einer Virushülle.

„Unsere Gruppe, geleitet von Ali Ertürk, hat eine Methode entwickelt, wie man biologisches Gewebe transparent machen kann“, erklärt Markus Elsner, stellvertretender iBio-Direktor und Mitautor der neuen Publikation. Die Forscher konnten das Gewebe einer toten Maus durchsichtig machen und dann bestimmte Proteine mit Floureszensfarbstoffen sichtbar machen. Mithilfe von modernen Mikroskopietechniken konnte man sehen, an welchen Stellen sich das Spike-Protein abgelagert hatte.

Auswirkungen auf das Gehirn

Welche Schäden das Spike-Protein im Gehirn anrichten kann, ist noch nicht vollständig erforscht. Erste Ergebnisse zeigen jedoch, dass es die Regeneration beeinträchtigen kann.

„Als wir Mäusen nur das Spike-Protein – also nicht das gesamte Virus – injizierten, haben wir negative Auswirkungen beobachtet. Die Regeneration des Gehirns nach einem Schädel-Hirn-Trauma etwa brauchte deutlich länger. Und nach einem Schlaganfall haben die Tiere länger neurologische Defizite.“

– Markus Elsner, stellvertretender Direktor des Institute for Intelligent Biotechnologies (iBio) von Helmholtz München.

Zudem scheint das Protein Entzündungsprozesse zu fördern, die mit weiteren Schäden im Gehirn einhergehen können. Interessant ist auch der mögliche Zusammenhang mit anderen neurologischen Erkrankungen. In den Versuchen ließen sich beispielsweise Ähnlichkeiten mit Alzheimer beobachten, insbesondere in Bezug auf die Veränderung einzelner Eiweiße.

Schutz durch Impfung

Bemerkenswertes Ergebnis der Studie: Impfungen können vor der Ablagerung des Spike-Proteins in den Hirnhäuten schützen. Insgesamt verläuft bei geimpften Personen die Infektion meist milder und kürzer, was die Wahrscheinlichkeit von Ablagerungen reduziert. Es scheint zudem, dass eine längere und schwerere Infektion mit einer stärkeren Ansammlung des Proteins korreliert.

Eine Impfung schützt signifikant vor den Ablagerungen des Spike-Proteins in Hirnhäuten und Hirnmark.

„Wir wissen zumindest: Eine Impfung schützt signifikant vor den Ablagerungen des Spike-Proteins in Hirnhäuten und Hirnmark, zumindest in Mäusen, aber sehr wahrscheinlich auch beim Menschen“, sagt Elsner. Das erkläre sich so, dass eine Infektion bei einer geimpften Person in der Regel harmloser und kürzer verlaufe als bei einer oder einer ungeimpften Person. „Vermutlich gilt: je stärker und länger die Erkrankungsphase, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich größere Mengen an Spike-Proteinen in den genannten Hirnbereichen ablagern“, so Elsner.

Perspektiven für Therapien

Derzeit gibt es keine etablierte Methode, um bereits abgelagerte Spike-Proteine aus dem Körper zu entfernen. Doch Forschende suchen nach Ansätzen. Ein möglicher Ansatz besteht darin, die Bindung des Spike-Proteins an den ACE2-Rezeptor, seinen Eintrittspunkt in die Zellen, zu blockieren. Hier könnten spezifische Antikörper oder andere Wirkstoffe in Zukunft eine Rolle spielen.

Auch die Entwicklung von Biomarkern zur Identifikation von Betroffenen wird vorangetrieben. Das Spike-Protein wurde etwa in Immunzellen und im Blut noch ein Jahr nach einer Infektion nachgewiesen. Weitere Forschungsanstrengungen in diese Richtung seien naheliegend, so Elsner.

Folgen für die Forschung

Die Entdeckung des Spike-Proteins in Hirnhäuten und Knochenmark wirft auch Fragen zu anderen Viren auf. Beispielsweise hinterlassen viele Viren Spuren im Körper, die Auswirkungen auf die Gesundheit haben können. Herpes-Viren oder das chronische Erschöpfungssyndrom sind bekannte Beispiele. Die Erkenntnisse könnten nicht nur für COVID-19, sondern auch für andere virale Erkrankungen von Bedeutung sein.

Trotz der offenen Fragen stellt das Spike-Protein in den Hirnhäuten nicht nur ein Problem dar, sondern auch einen vielversprechenden Ansatz für die Erforschung neuer Therapieformen – besonders für Long-COVID-Betroffene.

Quellenhinweis:

Rong, Mai, Ebert, Kapoor et al. (2024): Persistence of spike protein at the skull-meninges-brain axis may contribute to the neurological sequelae of COVID-19. Cell Host & Microbe. https://doi.org/10.1016/j.chom.2024.11.007