Von überraschenden Regenwolken - Meteorologische Reiseimpressionen, Teil 2

Reisen heißt auch seinen eigenen Erfahrungshorizont verlassen und Neues entdecken. Zwar ist das in der Meteorologie relativ, da die zugrunde liegende Physik überall die gleiche ist, aber nichtsdestotrotz spielt Erfahrung immer eine Rolle.

maritime Regenwolke
maritime Regenwolke, deren Niederschlagsbildung nicht übner die Eisphase , sondern über das effektive Zusammenfließen von flüssigen Wolkentröpfchen vonstattenging (Foto: Malte Neuper)

Dies gilt vor allem, wenn es um die unmittelbare, persönliche Wettererfahrung geht. Jedoch als recht ausgeprägter Fachidiot sucht man ja gleich hinter der neuen Wettererfahrung eine physikalische Erklärung. Nun, wie sich so etwas im Urlaub des Verfassers zutrug, davon sollen die folgenden Zeilen berichten.

Nachdem im ersten Teil der meteorologischen Reiseimpressionen schon flacher Bodennebel, Wolken mit Fallstreifen und schließlich ein grandioser, einfach zu genießender Sonnenuntergang beschrieben wurden, spielt im Folgenden eine sich abregnende Wolke eine Rolle, deren Niederschlag für den Verfasser und langjährigen in der Südwestdeutschen Wettervorhersage und -beobachtung tätigen Meteorologen doch recht überraschen kam.

Jetzt werden manche bösen Zungen sicherlich behaupten, dass überraschend auftretender Niederschlag bei der meteorologischen Personengattung doch recht häufig vorkommt und der Berufsstand des/der MeteorologIn ein solcher ist, bei dem man sogar für falsche Prognosen Geld bekommt. Doch einerseits kann ich versichern, dass wir stets bemüht sind und nicht immer, aber immer öfter richtig liegen. Dazu geht es hier letztlich um eine Beobachtung und keine konkrete Vorhersage.

Doch was war geschehen?

Auch ein Meteorologe genießt mal einen Nachmittag am Pool eines Campingplatzes, der in diesem Fall in der Nähe des Atlantiks in Frankreich lag bzw. liegt (er sollte das ja immer noch tun). Nun, ganz wegkommen von seiner Leidenschaft schafft es ein Meteorologe eh nie und so wandert der Blick des sich auf einer der Liegen räkelnden Wetterfroschs immer wieder gen Himmel. Zum einen natürlich, um zu gucken, ob ein relevantes Wetterphänomen, insbesondere Regen aufkommt, das ihn zu einem Handlungswechsel führt. Also zum Beispiel wird er sich von der bräsig liegenden Position zumeist in eine aufrechte Position begeben und einen Ort mit Regenschutz aufsuchen. Zum anderen ist er natürlich immer auf der Suche nach einem interessanten, die meteorologischen Sinne animierenden Phänomen.

Auftritt der Regenwolke und 'normaler' Regentropfenablauf

Langer Rede, kurzer Sinn, während der Verfasser also bräsig auf der Poolliege lag erblickte er eine für seinen Geschmack unscheinbare Wolke. Gestählt durch mehr als 30 Jahre intensiven Wetterguckens, schien diese nicht wirklich spektakulär. Ja, sie war in der Mitte etwas dunkler, aber große Vereisungserscheinungen hatte sie nicht und auch ihr Umfang/Volumen war nicht wirklich etwas, was ihn an Regen denken ließ. Doch plötzlich spürte er erste Tropfen auf seiner Haut, und kurze Zeit später wurden es mehr und auch auf dem Asphalt zeigten sich deutlich nasse Flecken. Erst natürlich von großen Tropfen, die - da sie größer und schwerer sind - rascher fallen und auch nicht so schnell verdunsten, wie die kleineren Tropfen. Ein Vorgang der in der Fachsprache (die sich bei ihren Begriffen zumeist aus dem Englischen bedient) als ‚size sorting‘ (also Sortierung nach der Größe‘) benannt wird.

große Regentropfenspuren
Abdrücke von großen Regentropfen, die meist den Anfang euiines Regenereignisses beherrschen (durch sogeanntes 'size sorting') - (Foto: Malte Neuper)

Später, als der Regen mehr in Gang kam, mischten sich nun zunehmend auch kleinere Tropfen in das am Boden auftreffende Tropfenspektrum. Die kleinen Tropfen holten also – auch wenn sie für die Fallstrecke länger brauchten - auf und außerdem wurde durch die zunehmende Sättigung der regengeschwängerten Luft die Verdunstung auf der Fallstrecke herabgesetzt. Es gab jetzt beim Regenhöhepunkt ein ausgeglichenes Tropfenspektrum mit großen und kleinen Tropfen zusammen, bevor am Ende des kurzen Niederschlagsintermezzos zunehmend die kleinen, noch weiter nachfolgenden Tropfen die Überhand erlangten.

Regentropfenspuren von großen und kleinen Tropfen
Regentropfenspuren von großen und kleinen Tropfen, wie sie sich nach gewisser Regendauer einstellen (Foto: Malte Neuper)

Die Tropfenabfolge ist so zu erwarten und auch in Südwestdeutschland üblich.

Doch die Frage, die unseren Meteorologen auf Reisen so verwunderte, war jedoch: Wieso regnete es überhaupt?

Niederschlagsentstehung über Eis vs. nur über die flüssige Phase

Nun, die Wolke als eine Ansammlung von Hydrometeoren (das sind Eisteilchen und oder flüssige Wolkentröpfchen) muss zur wirklichen Niederschlagsbildung einiges zu Stande bringen. Denn wie man aus dem Pixie-Buch „das Wetter“ weiß, müssen beispielsweise 1 Millionen Wolkentröpfchen zusammenkommen um einen Regentropfen zu bilden. So klein sind zunächst die Wolkentröpfchen. Natürlich können die Wolkentröpfchen einfach zusammenfließen (was man ‚Koagulation‘ nennt). Aber generell läuft dieser Vorgang in Mitteleuropa sehr langsam ab.


Aus bräsiger Stratusbewölkung entsteht damit lediglich Niesel- oder Sprühregen. Für so großtropfigen Regen - wie beobachtet - ist zumindest weiter weg vom Ozean (und damit in der Heimat unseres reisenden Meteorologen) ein anderer Prozess wirksam: Der Wegener-Bergeron-Findeisen Prozess. Diese drei Herren wiesen nämlich nach, dass, bei der Anwesenheit von Eiskristallen, diese deutlich rascher auf Kosten der flüssigen Wolkentröpfchen wachsen. Da nämlich der sogenannte Sättigungsdampfdruck über Eis niedriger ist, als über Wasser, verdunsten letztlich die flüssigen Wolkentröpfchen und der Wasserdampf lagert sich holterdiepolter an den Eiskristallen an (wobei, wenn die Eispartikel größer sind, sich die flüssigen Tröpfchen auch gerne direkt am Eis anlagern). Nun, die Niederschlagsentstehung vollzieht sich in Mitteleuropa in der Regel also über die Eisphase. Damit diese effektiv auftritt und zu Niederschlag am Boden führt, müssen die Wolken ein deutlich umfangreicheres und teils fasrigeres Aussehen aufweisen als das Exemplar, dass zu dem Urlaubs-Pool-Regen geführt hat.

Nun, die Gedanken des Meteorologen liefen daher auf Hochtouren um sinnvolle Gründe für seine 'Fehleinschätzung zu finden, und fassten die maritime Atmosphäre als verantwortlich ins Auge. Insbesondere die Zusammensetzung der ‚Zusatzbestandteile‘, durch die überhaupt die Wolkentröpfchenbildung möglich ist, war das Ziel seiner Gedankengänge. Es ging um die Kondensationskerne. Wahrscheinlich war es so, dass diese - hier auch stark wasseranziehenden -Teilchen eine recht unterschiedliche Größe aufwiesen und zudem einige sehr große (sogenannte ‚Riesenkerne‘) vorhanden waren. Damit sollten die Wolkentröpfchen unserer ‚Urlaubs-Pool-Wolke‘ eine recht unterschiedliche Größenverteilung aufweisen, sodass das Zusammenfließen (die ‚Koagulation‘) - eben aufgrund der unterschiedlichen Größe - doch recht effektiv und rascher vonstattenging. Damit war durch diesen ‚warmen Regen-Prozess‘ die Niederschlagsbildung für den beobachteten Regen ausreichend, obwohl die Wolken für den über die Eisphase sozialisierten Meteorologen nicht sonderlich Regen-dräuend wirkten.

Zufrieden mit seiner Erklärung lehnte sich unser reisender Meteorologe wieder zurück, schloss die Augen und entspannte einfach mal ohne weitere hintergründige Gedanken.

Aber wer sagt es denn: Reisen bildet, in vielfältiger Hinsicht!