Reduzierung der Treibhausgasemissionen, Teil 4: die EU

Wie kann sich die EU-Politik bei der Umsetzung von Maßnahmen gegen die Klimafolgen einig werden? Das Spektrum der unterschiedlichen Handlungsweisen reicht von Zweiflern am menschengemachten Klimawandel, wie Ungarn, bis zu Musterschülern im Kampf gegen die Erderwärmung, wie die skandinavischen Staaten.

Fit for 55
Die Klimaziele der EU mit dem Fit for 55 Programm

Die Europäische Union liegt in der Statistik der weltweiten, historischen Treibhausgasemissionen zwischen 1751 und 2022 an dritter Stelle. In der unter dem Link hinterlegten Grafik werden die EU noch als EU-28 geführt, also inklusive Großbritannien. Dies ist von der Klimaanalytik her absolut richtig, auch wenn die politische Realität nur noch aus 27 emittierenden Ländern der EU besteht. Die EU-28 liegt damit historisch knapp hinter den USA, aber sehr deutlich vor China.

In der Länderstatistik der aktuellen CO₂-Emittenten liegt Deutschland an siebter Stelle. Vor Deutschland liegen China, die USA, Indien, Russland, Japan und der Iran. Aus der EU-28 folgt Großbritannien auf Platz 17, Italien auf Platz 18 und Polen an neunzehnter Stelle. Die gesamte Länderstatistik findet sich hier.

Der European Green Deal und die Taxonomie

Mit dem European Green Deal soll bis 2050 Klimaneutralität in der EU erreicht werden. Um dessen Ausrichtung und Finanzierung zu unterstützen, sollen Finanzströme auf ökologisch nachhaltige Aktivitäten konzentriert werden. Das Instrument dafür ist die EU Sustainable Finance Taxonomie, ein Klassifizierungssystem zur Definition »ökologisch nachhaltiger Geschäftsaktivitäten«. Unter der EU-Taxonomie werden Kernkraft und Erdgas als Energieträger als nachhaltig eingestuft. Gegen diese Einstufung haben Greenpeace, der BUND, der WWF und weitere Umweltschutzverbände beim Europäischen Gerichtshof gegen die EU-Kommission geklagt.

Auch aus Österreich ist eine Klage gegen diese Einstufung anhängig. Das Land hatte zusammen mit Deutschland, Luxemburg, Portugal und Dänemark bereits im November 2021 den Ausschluss der Kernenergie von der Liste gefordert. Irland und Spanien hatten die Kommission davor gewarnt, Investitionen in Gas als klimafreundlich einzustufen.

Schon diese Diskussion zeigt die Uneinigkeit der Staaten, aber auch die unterschiedliche Betrachtungsweise von Primärenergie beim Thema der anzustrebenden CO₂-Neutralität.

Die Europäische Union will Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Die Umsetzung der Klimaziele bis 2030 ist auf faire und kosteneffiziente Umsetzung ausgerichtet. Mit Unterzeichnung der Grundsatzerklärung haben sich alle 27 EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken.

Fit for 55 – Die Umsetzung des European Green Deal

Was sich zunächst wie der Name eines Fitnessprogramms für Best Ager anhört, beschreibt in Wirklichkeit die Umsetzungsmaßnahmen des Green Deals. Die EU-Kommission hat am 14.07.2021 ihr Konzept »Fit for 55« vorgelegt. Mit insgesamt 12 konkreten Legislativvorschlägen werden die einzelnen Schritte und Meilensteine festgelegt, mit denen die neuen EU-Klimaziele erreicht werden sollen. Hinter dem blumigen Titel versteckt sich das Ziel, die CO₂-Emissionen in der EU bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent - statt bisher 40 Prozent - unter die Werte des Jahres 1990 zu senken. Hier beispielhaft fünf der 12 Eckpunkte von »Fit for 55«:

  • Ausbau der CO₂-Bepreisung über ein Emissionshandelssystem (EU-EHS):
    Um die fehlenden Emissionsreduktionen im Verkehr- und im Gebäudesektor anzugehen, wird ein neues Emissionshandelssystem eingeführt. Die Mitgliedstaaten sollen der EU die Gesamtheit ihrer Einnahmen aus dem Emissionshandel für klima- und energiebezogene Projekte bereitstellen. Ein bestimmter Teil der Einnahmen ist zur Abfederung etwaiger Auswirkungen auf sozial schwächere Privathaushalte und Kleinstunternehmen vorgesehen. Ein Teil der Einnahmen wird in Innovation und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze investiert. Aus einem neuen Klima-Sozialfonds erhalten die Mitgliedstaaten dann separate Mittel, die sie Bürgerinnen und Bürgern für Investitionen in Energieeffizienz, neue Heiz- und Kühlsysteme und sauberere Mobilität gewähren können.
  • CO₂-Grenzwerte und Verbrennerverbot: Strengere CO₂-Emissionsnormen für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sollen den Übergang zur emissionsfreien Mobilität beschleunigen. Die durchschnittlichen jährlichen Emissionen neuer Fahrzeuge müssen ab 2030 55 % und ab 2035 100 % niedriger sein als 2021. Alle ab 2035 zugelassenen Neuwagen sollen emissionsfrei bzw. klimaneutral sein.
  • Alternative Kraftstoffe für Flug- und Schiffsverkehr: Im Rahmen der Initiative „ReFuelEU Aviation“ werden Kraftstoffanbieter verpflichtet, dem an Flughäfen in der EU angebotenen Turbinenkraftstoff nach und nach mehr nachhaltige Flugkraftstoffe beizumischen, einschließlich synthetischer CO2-armer Kraftstoffe, sogenannter E-Fuels.
  • Emissionsziele der Mitgliedsstaaten: Mit der Lastenteilungsverordnung, werden verbindliche Zielvorgaben für die jährliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen der Mitgliedstaaten in denjenigen Sektoren festgelegt, die nicht unter das EU-EHS (siehe oben) oder die Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) fallen. Zu diesen Sektoren gehören der Straßenverkehr, die Gebäude, die Landwirtschaft, die Abfallwirtschaft und kleine Industriebetriebe. Mit den neuen Vorschriften wird in den betroffenen Sektoren das Ziel für die Verringerung der Treibhausgasemissionen für 2030 von 29 % auf 40 % gegenüber 2005 angehoben.
  • Erneuerbare Energien: »Fit für 55« enthält auch eine Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Danach soll der derzeitige EU-Zielwert von »mindestens 32 %« für den Anteil von erneuerbarer Energie am Gesamtenergiemix bis 2030 auf mindestens 40 % steigen. Ferner werden die Einführung sektorbezogener Teilziele vorgeschlagen. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf den Sektoren, die bishger der Umsetzung hinterherhinken. Dies sind insbesondere die Bereiche Verkehr, Gebäude und Industrie.

Alle weiteren Eckpunkte sowie den aktuellen Status jedes einzelnen Themas in Bezug auf die Beschlusslage findet sich hier.

Die Zukunft der europäischen Klimapolitik ist ambitiös und ungewiss!

Ohne jeden Zweifel hat die europäische Politik jeden relevanten Aspekt zu ihrer zukünftigen Klimapolitik festgelegt. Das Programm »Fit für 55« ist mutig und ambitiös. Aber ist es auch umsetzbar?

Wenn man die kleinen und größeren Störfeuer einzelner Staaten, darunter auch Deutschland, bei der Verabschiedung konkreter Gesetzesvorlangen, betrachtet, sind Zweifel angebracht. Ich werde im Mai in einem separaten Artikel diese Einwände betrachten und bewerten. Es drängt sich der erste Eindruck auf, dass die EuropapolitikerInnen große Veränderungen anstreben, gegen die sich jedoch die nationale Politik einiger Staaten teils massiv wehrt.