Plot twist? Simulationen legen nahe, dass die dunkle Materie nicht so ist, wie wir dachten

Anhand von Beobachtungen eines Galaxienhaufens behauptet ein Astronom, dass die dunkle Materie anders ist, als wir bisher angenommen haben.

Beobachtungen und Simulationen des Galaxienhaufens El Gordo könnten neue Erkenntnisse über die dunkle Materie liefern.
Beobachtungen und Simulationen des Galaxienhaufens El Gordo könnten neue Erkenntnisse über die dunkle Materie liefern. Bild: ESO/Hubble

Eine der größten Fragen in der Astronomie ist die Natur der dunklen Materie. Dabei würde es sich um eine Art von Materie handeln, die nur durch Gravitationswechselwirkung interagiert. Sie würde zum Beispiel nicht durch die elektromagnetische Kraft interagieren, sodass es unmöglich wäre, sie durch Licht zu beobachten, das von diesen elektromagnetischen Wechselwirkungen abhängt.

Über die dunkle Materie war wenig bekannt, da die Beobachtung nur indirekt war. Die Beobachtungen beschränken sich darauf, die Auswirkungen der dunklen Materie auf ihre Umgebung zu beobachten, wie etwa die Dynamik von Sternen oder Galaxien. Eine der Eigenschaften, die in der Wissenschaft akzeptiert wurde, war, dass die Bestandteile der dunklen Materie nicht kollisionsfähig sind.

Nach dieser Eigenschaft, die als kalte dunkle Materie (CDM) bekannt geworden ist, ist die dunkle Materie nicht kollisionsfähig, d.h. sie tauscht keine Energie durch Kollisionen aus. Ein spanischer Forscher hat einen Artikel veröffentlicht, in dem er argumentiert, dass es nach Simulationen und Beobachtungen von Galaxienhaufen einen Energieaustausch durch Kollisionen gibt. Dieses Argument spricht für ein Modell, das als selbst-interagierende dunkle Materie (SIDM) bezeichnet wird.

Dunkle Materie

Der größte Teil der Materie im Universum liegt in Form von dunkler Materie vor. Dabei handelt es sich um eine Art von Materie, die wir durch elektromagnetische Strahlung, d.h. Licht, nicht beobachten können. Die Materie, die wir beobachten können, wird sichtbare Materie oder baryonische Materie genannt und besteht aus allem, was wir im Universum kennen und sehen.

Es wird geschätzt, dass 85 Prozent der Materie im Universum in Form von dunkler Materie vorliegt, während nur 15 Prozent in Form von sichtbarer Materie vorhanden sind.

Die dunkle Materie gewann an Bedeutung, nachdem die Dynamik von Sternen in Galaxien beobachtet wurde, die einer anderen Geschwindigkeitskurve folgten als von der Theorie erwartet. Diese Entdeckung wurde von der Astronomin Vera Rubin gemacht. Um Rubins Beobachtungen zu erklären, wurde die dunkle Materie als ein Halo von Materie vorgeschlagen, der die Galaxie umgibt und mit den Sternen gravitativ interagiert.

Kalte dunkle Materie?

Im Laufe der Zeit wurden weitere indirekte Beobachtungen der Auswirkungen der dunklen Materie in Galaxien und Galaxienhaufen gemacht. Galaxienhaufen können bis zu Tausende von Galaxien enthalten, die durch ihre Schwerkraft miteinander wechselwirken. Indem man die Dynamik dieser Galaxien beobachtete und sie mit den in der Theorie vorgeschlagenen Geschwindigkeiten verglich, wurde ein Bestandteil der dunklen Materie erforderlich.

Der Bala-Haufen ist ein Beispiel für einen wichtigen Haufen für die Erforschung der dunklen Materie.
Das Bullet Cluster ist ein Beispiel für einen wichtigen Haufen für die Erforschung der dunklen Materie. Bild: ESA/NASA

Auf der Grundlage von Beobachtungen dieser Wechselwirkungen gewann ein Modell der dunklen Materie an Stärke, das als kalte dunkle Materie oder CDM bezeichnet wird. Diesem Modell zufolge findet kein Energieaustausch zwischen den Bestandteilen der dunklen Materie durch Kollisionen statt. Eine dieser Beobachtungen ist das berühmte Bullet Cluster, bei dem es vor kurzem zu einer Wechselwirkung kam. Durch die Analyse der Beobachtungsdaten kommen die Astronomen zu dem Schluss, dass es keine Kollision zwischen den Halos der dunklen Materie der einzelnen anwesenden Galaxien gegeben hat.

SIDM

Obwohl das CDM-Modell derzeit am meisten akzeptiert wird, weil es viele Beobachtungen erklärt, gibt es Astronomen auf der ganzen Welt, die für das Modell der selbst-interagierenden dunklen Materie oder SIDM argumentieren. In diesem Modell würden die Komponenten der dunklen Materie miteinander kollidieren und es gäbe einen Energieaustausch zwischen ihnen, der über die reine Gravitationswechselwirkung hinausgeht.

Bei einer Wechselwirkung zwischen Galaxien würde das SIDM-Modell einige andere Eigenschaften aufweisen als das CDM-Modell. Eine davon wäre, dass bei der Berechnung des Punktes maximaler Dichte der dunklen Materie eine Trennung auftritt, die durch die Kollision der Teilchen jedes Halos der dunklen Materie erklärt werden könnte.

El Gordo

Eine dieser Wechselwirkungen findet in dem als El Gordo bekannten Haufen statt, der einer der massivsten Haufen ist, die je gefunden wurden. Der Haufen hat etwa 1 Billiarde Sonnenmassen. Er gilt als wahres Labor für die Beobachtung von Galaxieninteraktionen und davon, wie dunkle Materie die Dynamik von Galaxien während einer möglichen Kollision beeinflusst.

Das El-Gordo-Cluster wurde in der Studie als Quelle für Vergleiche mit Simulationen verwendet.
Das El-Gordo-Cluster wurde in der Studie als Quelle für Vergleiche mit Simulationen verwendet. Bild: NASA

Es gibt zwei Sub-Cluster innerhalb von El Gordo, welche die Aufmerksamkeit auf diese Beobachtungen lenken. Die Astronomen fanden heraus, dass die Röntgenbilder eine Spitze und zwei längliche Teile zeigen. Außerdem unterscheidet sich die Röntgenspitze von dem geschätzten Maximum der dunklen Materie, was auf eine mögliche Kollisionskomponente hinweist.

Simulationen

Um das SIDM-Modell zu testen, stellt der Artikel numerische Simulationen von N-Körpern vor. Diese Art der Simulation berücksichtigt gravitative und Kollisionswechselwirkungen zwischen verschiedenen Massenkomponenten. Sie berücksichtigt auch hydrodynamische Simulationen, die das Verhalten der vorhandenen Gasdynamik mit Eigenschaften wie Dichte, Druck und Temperatur beschreiben.

Die Ergebnisse des Artikels zeigen, dass die dunkle Materie in diesen Beobachtungen eine Kollisionscharakteristik zu haben scheint. Dies wäre ein Beweis für das SIDM-Modell. Sollte es sich bestätigen, wäre dies einer der größten Fortschritte der letzten Jahrzehnte beim Verständnis der dunklen Materie.

Quelle

Valdarnini (2024): An N-body/hydrodynamical simulation study of the merging cluster El Gordo: A compelling case for self-interacting dark matter? Astronomy & Astrophysics.