Neue Spur zu den Gründen schnellerer Erderwärmung

Kurz vor dem Jahresende 2024 beschäftigen sich Klimaforscher immer noch mit dem Jahr 2023. Es hat die gesamte Welt der Klimawissenschaft mit dem bisher unerklärlichen, überproportional Anstieg der Erderwärmung erschüttert.

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Abnahme der Stratokumuli-Wolken ein weiterer Grund für die Erderwärmung?

Am 19.März 2024 erschien in der Wissenschaftszeitschrift Nature ein Artikel von Gavin Schmidt, dem Leiter des Goddard Institute for Space Studies der NASA. Mit diesen Worten leitete er seinen Bericht ein:

Es ist demütigend und ein etwas beunruhigend, zuzugeben, dass kein Jahr die Vorhersagefähigkeiten der Klimawissenschaftler mehr gefordert hat als das Jahr 2023.

Das vergangene Jahr gilt als das bisher heißeste jemals gemessene Jahr seit dem Beginn des industriellen Zeitalters. Die globale Durchschnittstemperatur lag um annähernd 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Dies entspricht dem Wert, auf den sich die Staatengemeinschaft beim Pariser Klimaabkommen des Jahres 2015 als angepeilte, höchste, langfristige Begrenzung geeinigt hatte. Die derzeitige Einschränkung der Betrachtung liegt an der Langfristigkeit, denn das Jahr 2023, dessen Trend vermutlich auch im Jahr 2024 bestätigt wird, stellt noch keinen längeren Zeitraum dar.

Allerdings darf es nicht überraschen, dass sich die Erwärmung fortsetzt, denn auch der CO₂-Ausstoß stieg zumindest bis zum Ende des vergangenen Jahres an. Ob damit der Höhepunkt erreicht wurde oder ob das Jahr 2024 einen weiteren Höhepunkt darstellt, steht noch nicht ganz fest.

Temporäre Erhöhung?

In der Klimaforschung ist das vergangene Jahr außergewöhnlich, denn es enthält eine bisher nicht eindeutig erklärbare Wärmeanomalie. Die Erklärungsversuche dazu waren zahlreich und reich, denn vom natürlichen Klimaphänomen El Niño, über eine außergewöhnlich hohe Sonnenaktivität, eine Verminderung der Luftverschmutzung über dem Nordatlantik bis zum Ausbruch eines submarinen Vulkans auf Tonga. Allerdings resultierte die Addition all dieser Faktoren immer noch in der Existenz einer Lücke von rund 0,2 Grad Celsius.

Klimaforscher um Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven haben nun eine weitere Erklärung hinzugefügt. Ihren Untersuchungen zufolge reflektiere die Erde die Sonneneinstrahlung auch schlechter, weil sich die Wolkenformationen verändert hätten.

Sie nutzten dabei Daten von Messstationen, Wetterballons und Satelliten und kombinierten diese mit Wettervorhersagemodellen. Ein Faktor viel ihnen dabei besonders auf, und zwar die Veränderung der Albedo. Sie bestimmt das Rückstrahlvermögen der Erde. Die Albedo war im Jahr 2023 so schwach wie seit den 1940er-Jahren nicht. Den Forschern zu Folge war dies das fehlende Puzzleteil bei der Begründung zur außergewöhnlichen Erwärmung im vergangenen Jahr.

Wolkenformationen haben sich verändert

Es ist bekannt, dass seit mehr als 50 Jahren die Albedo der Erde abnimmt. Hauptgründe dafür sind das Schmelzen des arktischen und antarktischen Meereises, und das Schrumpfen der Gebirgsgletscher. Die reflektierenden weißen Flächen setzen entweder dunkle Felsoberflächen frei oder erhöhen das dunkle Meerwasser. So entsteht eine Zunahme von dunklen, absorbierenden Flächen und eine Abnahme von hellen, reflektierenden Flächen. Die Forscher des AWI haben in ihrer Studie nun eine weitere Ursache für die Albedo-Veränderung gefunden, und zwar die Verminderung der tiefhängenden Wolken.

Dieses Ergebnis ist für wissenschaftliche Kollegen der Klimaforschung nicht überraschend, denn die Klimawissenschaft betont seit Jahren, wie wichtig Wolken im Klimasystem sind und wie groß ihre Wirkung in der Öffentlichkeit unterschätzt wird.

Wolken sind ein Unsicherheitsfaktor in Klimamodellen. Je nach ihrer Höhe können sie die Erderwärmung mindern oder verstärken. Tieflegende Wolken wirken dagegen wie ein Sonnenschirm, kühlen also die Erde ab. Dieser Wolkentyp ist viel für uns als Stratokumuli bekannt. Genau diese Haufenschichtwolken haben nach der Untersuchung von Gößling und seinem Team seit Jahren abgenommen.

Mögliche Begründungen für den Abbau der Wolkenbildung

Die erste Annahme einer Begründung für die Abnahme von Stratokumuli ist eine Schwankung im Klimasystem durch die Abweichungen der Oberflächenwärme des Atlantiks. Er könnte im vergangenen Jahr in eine wärmere Phase eingetreten sein, was zu einer Abnahme der Stratokumuluswolken geführt haben könnte. Die gute Nachricht dieses Szenarios: die Wolken würden sich wieder aufbauen, wenn der Erwärmungsverlauf wieder abnimmt.

Die zweite Annahme sind die Minderung von Staubpartikeln in der Luft. In den letzten Jahren ist die Luft vor allem im Norden der Erde sauberer geworden. Damit wäre erklärbar, warum tief liegende Wolken vor allem über dem Nordatlantik abgenommen haben. Dies würde einen einmaligen Temperatursprung nach sich ziehen.

Reagiert das Klima empfindlicher auf den Treibhausgas-Anstieg als angenommen

Die dritte Annahme stellt den Klimawandel selbst in den Fokus, indem sie davon ausgeht, dass dieser unmittelbar die Wolkenbildung verändern könnte. Wenn die Erdtemperatur steigt, nehmen nach dieser Theorie die tief liegenden Wolken ab. Dies führt dazu, dass die dunklere Meeresoberfläche mehr Sonnenwärme absorbiert und die Erderwärmung weiter erhöht.

Sollte dies der Hauptgrund für die Abnahme der tief liegenden Wolkenbildung sein, wäre dies in der Tat eine schlechte Nachricht. Damit verbunden wäre die Tatsache, dass das Klima wesentlich empfindlicher auf den Treibhausgasanstieg reagiert, als es die Forschungen bisher erwartet haben.

Ozeane – der deutlichere Temperatur-Trendsetter

Die Erderwärmung auf unserem Planeten nimmt durch die unverminderte Emission von Treibhausgasen permanent zu. Seit den frühen siebziger Jahren heizt sich die Erde pro Dekade um knapp 0,2 °C auf. Allerdings stellen Klimawissenschaftler fest, dass die Geschwindigkeit sich seit etwa zwei Jahrzehnten verdoppelt hat. Die Feststellung an der Lufttemperatur hinkt allerdings der Feststellung in den Meerestemperaturen hinterher.

Die Meere unserer Erde nehmen 90 % der überschüssigen Wärme auf. Daher zeigt sich in den Temperaturen der Meere der Trend einer Temperaturerhöhung viel deutlicher und eindeutiger. Die Rekorde der Oberflächentemperaturen von nahezu allen Meeren der nördlichen Hemisphäre, aber auch ihrer tieferen Bereiche sowie das Abschmelzen von Meereis der Arktis und der Antarktis sind klare Indikatoren für starke und ungewöhnlich schnelle Veränderungsmechanismen.

Der stetig zunehmende CO₂-Ausstoß kann allerdings nicht allein für die beschleunigte Aufheizung des Planeten verantwortlich sein. Klimaforscher und Meteorologen vermuten seit Jahren die Abnahme der Albedo, die Abnahme der schützenden Aerosole und eine Veränderung der Wolkenbedeckung als Katalysatoren für die Beschleunigung.

Eine Absorption von mehr Sonnenstrahlen auf der Erde führt zu Hitzestau im Klimasystem. Dieser verteilt sich auf Ozeane, die Land- und Eisflächen und die Atmosphäre.

Suche nach der Erklärung ist nicht beendet

Die Ursachenforschung nach dem ominösen Fünftel Grad verbunden mit der Antwort auf die Frage, was die tief liegenden Wolken zum Verschwinden gebracht hat, ist nicht beendet. Allerdings, bestätigt die Studie des AWI die Bedeutung der »fehlenden Sonnenschirme«, also der Abnahme der Haufenschichtwolken. In den kommenden Jahren werden wir sicherlich weitere Studien dazu sehen, was unsere Erkenntnis zu den Ursachen und Wirkungen der Klimaveränderungen weiter verbessern wird.

Ob damit auch eine Reduzierung der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen eingeht, ist zum heutigen Stand noch ungewiss.

Quellenhinweis

Studie AWI: Globaler Temperaturanstieg intensiviert durch rekordniedrige Albedo

Artikel Gavin Schmidt in Nature zur begrenzten Aussagefähigkeit von Klimamodellen