Mikroplastik - und das Anthropozän
Wissenschaftsteams auf der ganzen Welt arbeiten an Systemen, um den Verlauf und den Beginn des Anthropozäns zu verfolgen, also der geologischen Epoche, in der die Folgen des menschlichen Handelns auf Umwelt und das Klima untersucht werden.
Plastikpartikel in Süßwasser und Meeres-Sedimenten sollten dabei helfen, den Beginn und den Verlauf dieser für die Menschheit so wichtigen geologischen Epoche zu bestimmen. Doch ausgerechnet ihre Fähigkeit, als Mikroplastik in ältere Schichten zu diffundieren, könnte die Erkenntnisse verwässern.
Mikroplastik
Mikroplastik stellt ein Umwelt- und Gesundheitsrisiko dar. Es gilt als Schadstoff anthropogenen, also menschengemachten Ursprungs. Seit Beginn der Produktion synthetischer Polymere im 20. Jahrhundert wurden immer mehr Kunststoffe mit vielseitigen Eigenschaften entwickelt, produziert und in die Anwendung im täglichen Leben übernommen. Die kumulierte weltweite Kunststoffproduktion seit Beginn der Aufzeichnungen der Branchenverbände erreichte im Jahr 2017 ca. 8.300 Millionen Tonnen (Mt). Seitdem wurden jährlich weitere 360 – 400 Mt. Plastik produziert. Schätzungen zufolge wurden nur etwa neun Prozent des gesamten jemals produzierten Kunststoffs recycelt und zwölf Prozent verbrannt.
Dies führt zu dem Schluss, dass seit Beginn der kommerziellen Produktion von Kunststoff über 6.000 Mt. Kunststoffabfälle auf legalen oder illegalen Mülldeponien entsorgt werden. Nach vollständiger oder teilweiser Zersetzung gelangen sie als Mikroplastik in die Umwelt und damit auch in die natürlichen Kreisläufe der Nahrungskette. Selbst in arktischen Tiefseesedimenten, in Gletschern oder in der Atmosphäre findet sich Mikroplastik. Aufgrund der permanenten Zunahme der Plastikmengen in natürlichen Umgebungen sowie ihres Potenzials, in Schichten geologischer Formationen zu verbleiben, wurde Mikroplastik als möglicher Marker des Anthropozäns angesehen.
Das Anthropozän
Auf der geologischen Zeitskala ist das Anthropozän eine (inoffizielle) Epoche, die ein bis dato unbekanntes und damit neues Zeitalter darstellt. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass seine evolutionäre Veränderung durch vom Menschen veränderte natürliche Prozesse bestimmt wird. Wir Menschen haben in den letzten Jahrtausenden unsere Spuren in stratigraphischen Aufzeichnungen hinterlassen. Allerdings kam es mit der „großen Beschleunigung“ des Bevölkerungswachstums und der Industrialisierung seit Beginn des 19. Jahrhunderts erheblichen Veränderungen. Die Anthropozän-Arbeitsgruppe der International Union of Geological Sciences hat die Mitte des 20. Jahrhunderts als Ausgangspunkt der Anthropozän-Epoche vorgeschlagen. Diese Zeit fällt mit dem Beginn der industriellen Massenproduktion von Kunststoffen zusammen.
Studie zu den Zusammenhängen
In einer Studie vom 21. Februar, die bei Science Advances veröffentlicht wurde, stellten sich die Forscher die Frage, ob Mikroplastik zur Abgrenzung der Anthropozän-Epoche dienen können. Die Ausgangsbasis der Studie war von der Theorie her ideal, denn Kunststoffe gelten als neues und sehr junges Partikelmaterial in der Erdgeschichte. Aufgrund ihrer weiträumigen Präsenz besteht ein großes wissenschaftliches Potenzial als globaler Altersmarker und Korrelationsbestandteile zwischen Sedimentprofilen.
Das Forschungsteam untersuchte in der Studie die mögliche Ablagerungshistorie von Mikroplastik anhand von Sedimentprofilen aus drei Seen in Nordosteuropa abgeleitet. Die einzelnen Sedimente wurden mit unabhängigen Proxies aus der Gegenwart bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts verglichen. In den Probeentnahmen der drei lettischen Seen Seksu, Pinku und Usmas wurden insgesamt 14 unterschiedliche Arten von Plastik gefunden.
Die jüngsten, obersten Sedimentschichten enthielten die meisten Plastikpartikel. Das Team wurde darüber hinaus mit dem Ergebnis konfrontiert, dass kleinere, Partikel in viel ältere Sedimente gelangt waren, die sich lange vor Beginn der Kunststoffproduktion in den 1950er Jahren gebildet hatten. So fanden die Wissenschaftler zum Beispiel Partikel der biologisch abbaubaren Kunststoffe PLA und PHB in über 200 Jahre alten Sedimenten. Sie verwendeten etablierte Techniken, um Sedimentproben zu datieren und die Mengen an Bleiisotopen und kugelförmigen kohlenstoffhaltigen Partikeln zu messen, die die Proben enthielten.
Unabhängig vom Alter der Sedimentschicht wurden an allen Standorten überall in den Bohrkernen Mikroplastikpartikel gefunden. Je nach Größenverhältnis der Partikel wurden weniger längliche Partikel tiefer gefunden, während länglichere Partikel und Fasern eine geringere Mobilität aufwiesen.
Dies ließ am Ende nur den Schluss zu, dass die Interpretation der Mikroplastikverteilung in den untersuchten Sedimentprofilen nicht eindeutig bestimmbar war. Damit ist dieses Untersuchungsverfahren nicht geeignet, um den Beginn und den Verlauf des Anthropozäns zu bestimmen.
Fazit
Die Enttäuschung der Forschenden ist verständlich. Die Studie diente zumindest als Beispiel, welche Rolle Mikroplastik in den ökologischen Systemen unserer Erde spielt. Die unberechenbare Restsubstanz aus zersetzten Plastikprodukten findet sich in der Luft, im Boden und in allen unseren Gewässern.
Nicht nur die ökologischen Folgen sind weitgehend noch nicht untersucht, sondern auch die langfristigen Auswirkungen auf den menschlichen oder tierischen Organismus. Lösungen liegen vor, werden aber nicht konsequent umgesetzt, sei es ein vorbehaltloses Recyclingsystem mit einem globalen Exportverbot von Plastikmüll – oder vor allen Dingen ein Umdenken bei uns Konsumentinnen und Konsumenten zu weitgehendem Plastikverzicht bzw. vollumfänglicher Zuführung unseres Plastikmülls in den Stoffkreislauf.