Lebendige Flüsse: Wie der Rückbau von 16 Wehren, Rampen und Sohlabstürzen 400 Flusskilometer wiederherstellen könnte

In Deutschland durchschneiden rund 200.000 Querbauwerke wie Wehre oder Sohlschwellen alle zwei Kilometer einen Fluss oder Bach. Gut 50.000 Bauwerke hat der WWF Deutschland nun genauer untersucht.

Rückbauten
Mit nur 16 Rückbauten könnten 400 Flusskilometer von Barrieren befreit werden. Bild: Pixabay

Bis spätestens zum Jahr 2027 sollte für alle Oberflächengewässer ein „guter ökologischer Zustand“ erreicht werden, so lautete das Ziel der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) auf EU-Ebene. Bisher haben jedoch nur rund acht Prozent der deutschen Fließgewässer diesen Status erlangt. Grund dafür sind vor allem mehr als 215.000 künstliche Querbauwerke, die Flüsse fragmentieren und verändern, was insbesondere für Wanderfischarten problematisch ist.

Da in letzter Zeit jegliche politische Bemühungen in diese Richtung stagniert waren, wurde einerseits in der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 als auch im EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur vereinbart, dass – besonders ungenutzte – Querbauwerke nach Möglichkeit zurückgebaut werden sollen. Auf diese Weise sollten bis 2030 europaweit mindestens 25.000 freifließende Flusskilometer hinzugewonnen werden.

Die nun vom WWF Deutschland initiierte Analyse zum Rückbau von Querbauwerken liefert erstmals einen wichtigen Beitrag zur deutschlandweiten Auswahl von Barrieren, mit deren Rückbau sich längere Fließstrecken gewinnen lassen.

„Querbauwerke rauben den Gewässern ihre natürliche Dynamik, verschlechtern den ökologischen Zustand, versperren wandernden Fischarten den Weg zu ihren lebensnotwendigen Lebensräumen, entkoppeln den Fluss von der Aue und sind im Hochwasserfall mitunter sogar lebensbedrohlich für die Menschen“, erklärt Dr. Ruben van Treeck, Gewässerschutzreferent beim WWF Deutschland. Um den stark gebeutelten Gewässern zu helfen, müsse man sie systematisch von ökologisch bedenklichen Wehren, Sohlschwellen oder Kulturstauen befreien.

Das Ergebnis: Der Rückbau von 776 Barrieren würde zahlreiche Flüsse und Bäche auf über 26.000 Kilometern wieder frei fließen lassen. In dem Gutachten wurden außerdem 16 Querbauwerke identifiziert, deren Rückbau 400 Kilometer durchgängige Flussstrecken wiederherstellen könnte.

„Durch den Rückbau der ausgewählten Querbauwerke würden 415,6 Kilometer Gewässerstrecke wieder angebunden, die – vorbehaltlich weiterer Prüfungen – gegebenenfalls auch zum 25.000-Kilometer-Ziel der Wiederherstellungsverordnung beitragen könnten,“ heißt es in dem Kurzbericht zum Gutachten.

Ökologische Priorisierung und Machbarkeit

Geeignete Rückbaukandidaten wurden mithilfe der ökologischen Priorisierung durch GIS-Datenauswertungen und anhand der Machbarkeit des Rückbaus ermittelt. Die ökologische Priorisierung erfolgte mithilfe von vier Parametern:

  • Anbindungslänge oberhalb des Querbauwerks,
  • Lage im Einzugsgebiet,
  • Fragmentierungsgrad der Einzugsgebiete und
  • Qualität der Gewässerstruktur.

Dafür wurden zuerst Datensätze von den Bundesländern ausgewertet, die über 180.000 Informationen zu Bauwerkstyp und Absturzhöhe enthielten, mit denen die Anzahl der Bauwerke bereits reduziert werden konnte.

Kreuzungsbauwerke wie Brücken, Verrohrungen sowie Sohlverbauungen wurden ebenfalls nicht weiter berücksichtigt, genauso wie Bauwerke, die einen bestimmten Höhenunterschied nicht erreichten – in den Mittelgebirgen 30 Zentimeter, im Norddeutschen Tiefland 10 Zentimeter und in Bayern 50 Zentimeter.

Untersuchung des ökologischen Potenzials

Im nächsten Schritt wurden 60.000 Querbauwerke hinsichtlich des ökologischen Potenzials weiter untersucht:

  1. Länge der angebundenen Gewässernetze (Hauptgewässer und Nebengewässer),
  2. Lage in den Einzugsgebieten, insbesondere für die Wanderfischarten, Gewässergröße bzw. Flussordnungszahl,
  3. Fragmentierung und Dichte von Querbauwerken entlang von Gewässern, Wirksamkeit von Rückbaumaßnahmen,
  4. Gewässerstrukturgüte und Charakterisierung der Habitatqualität in den Anbindungsstrecken.

Durch diese Bewertung konnten Querbauwerke Werte zwischen 4 und 12 Punkten erreichen – eine hohe Punktzahl steht für eine höhere ökologische Priorität für den Rückbau des Bauwerks. Schließlich wurden 52.661 Querbauwerke – Rampen, Abstürze, Wehre und Dämme – hinsichtlich ihrer ökologischen Priorisierung für den Rückbau bewertet, wobei lediglich 776 Querbauwerke, und damit nur 1,5 Prozent, in die höchste Kategorie fielen (9 bis 11 Punkte). Die maximale Punktzahl (12) erreichte keines der Bauwerke.

Ein Rückbau ist oft nicht möglich

„Große Bauwerke wie die Staustufen in den Bundeswasserstraßen fallen in unserem Gutachten als mögliche Kandidaten weg. Ebenso Bauwerke mit Bedeutung für den Hochwasserschutz, große Wasserkraftwerke oder solche, deren Rückbau aufgrund sich verändernder Grundwasserspiegel Infrastruktur in unmittelbarer Nähe gefährden könnte“, erklärt van Treeck.

Da sich unter den 776 Querbauwerken viele Bauwerke solcher Art befinden, liefert die nächste Kategorie (Werte 7 und 8) mit insgesamt 8426 Bauwerken weitere aussichtsreiche Rückbaukandidaten.

In jedem Fall würde der Rückbau der genannten Querbauwerke eine deutliche Verbesserung der Gewässerstruktur und der Habitatqualität in sechs Naturschutzgebieten und elf Flora-Fauna-Habitat-Gebieten mit sich bringen. Profitieren können davon unter anderem Bachneunaugen, Aale, Forellen, Groppen und Bachmuscheln, Neunaugen, Lachse und Meerforellen.

Letztlich wurden aus der so erstellten Bauwerksliste 16 Kandidaten mit großem Rückbaupotenzial ausgewählt und im Detail vorgestellt. Die Auswahl zielte darauf ab, im WWF-Bericht je einen Kandidaten für alle größeren Bundesländer vorzustellen. Insgesamt umfasst die Präsentation sohlstabilisierende Bauwerke wie Sohlabstürze und Rampen, feste und bewegliche Wehre ehemaliger und intakter Wasserkraftanlagen, Mühlen und Kulturstaue, unter anderem das Wolfshagener Wehr (Anbindungslänge: 47,9 Kilometer, Gewässer: Stepenitz), die Wehrkette Heinrichsdorf (17,5 km, Dosse) oder das Wehr der Weimesmühle (42,5 km, Fliede).