Kann KI helfen, Long COVID zu diagnostizieren? Wissenschaftler der Harvard-Universität haben eine Lösung

Eine von Harvard-Forschern entwickelte KI kann Long COVID genauer erkennen und verbessert den Diagnoseprozess erheblich – mit vielversprechenden Ergebnissen für Patienten.

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KI soll helfen, um zukünftig Long Covid besser erkennen zu können.

Long COVID bleibt ein Mysterium, das Patienten und Ärzte vor große Herausforderungen stellt. Bislang wurde angenommen, dass rund 7 Prozent der Bevölkerung an den anhaltenden Symptomen nach einer COVID-Infektion leiden. Eine neue KI-Analyse, entwickelt von Mass General Brigham, zeigt jedoch eine besorgniserregend höhere Zahl: 22,8 Prozent. Diese Erkenntnisse stammen aus einer Analyse elektronischer Gesundheitsakten und könnten die medizinische Versorgung revolutionieren.

Diese KI ist in der Lage, riesige Mengen an Gesundheitsdaten zu durchforsten und gezielt Long-COVID-Fälle zu identifizieren. Symptome wie extreme Müdigkeit, chronischer Husten und Gehirnnebel lassen sich dank des Tools besser von anderen Krankheiten abgrenzen, was Ärzten hilft, ihre Diagnosen zu verfeinern.

Präzise Phänotypisierung als Durchbruch

Die Methode dahinter nennt sich „präzise Phänotypisierung“. Statt allgemeiner Diagnosen verwendet die KI einen ausgeklügelten Algorithmus, der individuelle Patientenakten untersucht. Es wird sichergestellt, dass Long COVID wirklich die Ursache für die Symptome ist und nicht eine vorbestehende Krankheit wie Asthma oder Herzprobleme. Nur wenn alle anderen Optionen ausgeschlossen sind, wird Long COVID diagnostiziert.

Diese Präzision könnte einen wichtigen Unterschied machen, insbesondere weil Long COVID oft durch eine Vielzahl unspezifischer Symptome gekennzeichnet ist. „Unser KI-Tool macht den Diagnoseprozess viel klarer und präziser“, sagt Hossein Estiri, der Leiter der KI-Forschung an der Harvard Medical School.

KI-Tool überwindet diagnostische Hürden

Ein weiterer Vorteil des neuen Tools ist, dass es bestehende Vorurteile in der medizinischen Diagnostik mindern könnte. Der offizielle Long-COVID-Diagnosecode (ICD-10) ist oft mit Menschen verknüpft, die leichteren Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Das KI-Tool ist weniger voreingenommen und spiegelt die demografische Vielfalt von Massachusetts besser wider. So werden auch Menschen aus marginalisierten Gemeinschaften erfasst, die bisher oft unbemerkt blieben.

Diese Methode ist nicht nur genauer, sondern auch inklusiver. Ärztin Alaleh Azhir vom Brigham and Women’s Hospital sieht darin eine Revolution im Umgang mit Long COVID: „Ärzte können sich auf die KI verlassen, die für sie die komplizierten Zusammenhänge aufschlüsselt, während sie sich um ihre Patienten kümmern.“

Einschränkungen und Herausforderungen

Trotz aller Vorteile gibt es noch Herausforderungen. Die von der KI analysierten elektronischen Gesundheitsdaten sind nicht immer so umfassend wie handgeschriebene Notizen von Ärzten. Außerdem kann der Algorithmus nicht immer erkennen, ob eine bereits bestehende Krankheit durch Long COVID verschlimmert wurde. Das erschwert es, manche Fälle eindeutig zu identifizieren. Auch der Rückgang der COVID-Tests macht es schwieriger, die Krankengeschichte mancher Patienten nachzuvollziehen.

Die Forschung ist bisher auf Massachusetts beschränkt, und weitere Tests sind nötig, um die KI international einsetzbar zu machen. Dennoch sind die Wissenschaftler zuversichtlich, dass ihre Technologie großes Potenzial hat.

Blick in die Zukunft

Die Forscher planen bereits, den Algorithmus öffentlich zugänglich zu machen, damit Ärzte weltweit davon profitieren können. Zukünftige Studien könnten sich auf spezielle Patientengruppen wie COPD- oder Diabetes-Patienten konzentrieren. Ziel ist es, die genetischen und biochemischen Ursachen der unterschiedlichen Long-COVID-Formen besser zu verstehen.

„Fragen zur wahren Belastung durch Long COVID, die uns bisher entgangen sind, scheinen jetzt greifbarer“, sagt Estiri. Die Hoffnung ist, dass wir nicht nur besser diagnostizieren, sondern auch gezieltere Behandlungsmöglichkeiten finden können.