Gewittertypen in Deutschland: Die Multizelle
Multizellen können eine deutlich längere Lebenszeit erreichen als gewöhnliche Einzelzellen. Aufgrund der starken Aufwinde und der organisierten Konvektion haben sie ein besonders großes Schadenpotential durch Hagelschlag und Orkanböen. Wie und warum sich Multizellen entwickeln, erklären wir im Artikel.
Nachdem wir vor einigen Tagen im ersten Teil dieser Reihe bereits die Einzelzelle als einfachsten Gewittertyp vorgestellt haben, ist heute die Multizelle an der Reihe.
Das entscheidende Kriterium für die Entstehung von Multizellen ist die Separation von Auf- und Abwindbereichen, welche im Fall von Einzelzellen nicht gegeben ist. Voraussetzung dafür ist ein Umfeld mit unidirektionaler vertikaler Windscherung, das heißt ein Windfeld, dessen Intensität bei gleichbleibender Windrichtung mit der Höhe zunimmt.
Unter diesem Umständen wächst die Gewitterwolke nicht exakt senkrecht in der Atmosphäre nach oben, sondern wird leicht in die Richtung der Windscherung gekippt, was zur Folge hat, dass die Niederschläge nicht in den Aufwindbereich hereinregnen, sondern etwas in Richtung der Gewitterrückseite verschoben werden.
Neue Aufwinde durch bodennahe Konvergenz
Ein praktischer Nebeneffekt: Wenn die Niederschläge auf den Boden prasseln, werden die Abwinde in horizontale Bewegung umgelenkt. Es bildet sich eine bodennahe Böenfront (oft auch outflow genannt) aus, welche an der Vorderseite der Zelle für Konvergenzbereiche sorgt und damit neue Aufwindimpulse triggern kann.
Durch die wiederholte Neubildung von Aufwindbereichen kann sich die Multizelle über einen großen Zeitraum am Leben erhalten. Aufgrund der wiederkehrenden Zellneubildung an der Vorderseite spricht man bei Multizellen häufig auch von organisierter Konvektion. Die typische Lebenszeit für eine Multizelle beträgt mehrere Stunden und kann im Extremfall sogar einen Tag betragen. Auch hinsichtlich der Verlagerungsrichtung und -Geschwindigkeit können sich Multizellen von Einzelzellen unterscheiden. Die effektive Verlagerung setzt sich bei einer Multizelle zusammen aus der theoretischen Verschiebung durch das Windfeld und der scheinbaren Verlagerung durch Zellneubildung. Die effektive Bewegungsrichtung kann um bis 50° vom eigentlich Windfeld abweichen.
Ein in Deutschland häufig anzutreffender Spezialfall der Multizellen ist die squall-line. Hierbei handelt sich um eine dünne, linienartige Anordnung von Gewitterzellen. Squall-lines treten oft im Zusammenhang mit einer Kaltfront auf, weil hier eine starke Windscherung herrscht. An der Vorderseite einer squall-line kommt es häufig zu orkanartigen Windböen, die vom outflow angetrieben und vor der Gewitterlinie hergeschoben werden.