Faktoren für die Beschleunigung der Erderwärmung
In den letzten Jahren warnten viele Wissenschaftler davor, dass sich die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert deutlich beschleunigen könne. Mit steigenden Temperaturen sei auch eine Zunahme der extremen Wetterereignisse verbunden.
Das Jahr 2023 bestätigt die Prognosen der zahlreichen Wissenschaftsteams. Es gilt als das bisher heißeste Jahr seit der Aufzeichnung der Wetterdaten in Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel. Die Perspektiven für das noch junge Jahr 2024 deuten auf weitere Temperaturrekorde hin.
Neue Studie – neue Prognosen
In einer wissenschaftlichen Studie, die im November 2023 veröffentlicht wurde, argumentiert der Klimawissenschaftler James E. Hansen, einer der Autoren, dass das Tempo der globalen Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten um 50% zunehmen werde. Er betonte in einem Interview, dass das 1,5-Grad-Ziel der Klimakonferenz von Paris nicht mehr zu schaffen sei. Hansen dazu: »In den nächsten Monaten werden wir bei den Temperaturen im 12-Monats-Durchschnitt deutlich über 1,5 °C liegen.«
Seit der vorindustriellen Zeit hat sich die Erde um ca.1,2 °C erwärmt. In einigen Monaten des Jahres 2023 lagen die globalen Durchschnittstemperaturen um 1,5-1,6°C höher.
Die Überschreitung des 1,5 Grad–Ziels stellt keinen apokalyptischen Wendepunkt für den Untergang der Erde dar. Trotzdem warnt die Klimawissenschaft unter der Regie des Weltklimarats der Vereinten Nationen vor schwerwiegenden und möglicherweise irreversiblen Folgen, wenn dieser Wert deutlich über mehrere Jahrzehnte überschritten werde. Viele Grundnahrungsmittel könnten bei diesem Temperaturanstieg nicht mehr wachsen. Selbst die besten Maßnahmen zum Wasserschutz würden den prognostizierten Dürren nicht entgegenwirken.
Wissenschaftler sind sich uneinig darüber, wie schnell und wie genau die globale Temperatur durch zusätzliche Emissionen von Kohlendioxid (CO2) genau ansteigen werde. Eine Studie aus dem Jahr 1979 schätzte, dass eine Verdoppelung der CO2-Dichte in der Atmosphäre zu einem Anstieg zwischen 1,5 bis 4,5°C führen könne. Eine Berechnung des IPCC besagt, dass sich die Erde bei einer Verdoppelung der CO2-Emissionen um 3°C erwärmen könne.
Unter Berücksichtigung der aktuellen Treibhausgasemissionen prognostizierten Hansen und sein Team, dass die 1,5°C.-Marke dauerhaft in den 2020er-Jahren und die 2°C.-Marke dauerhaft vor 2050 überschritten werde. Die Wissenschaftler gehen damit von einer deutlich schnelleren Rate aus als das IPCC.
Bestätigung der Tendenz – trotz Uneinigkeit
Der Klimawissenschaftler Michael Mann von der University of Pennsylvania argumentiert, dass er die von Hansen prognostizierten Szenarien nicht komplett teile. Trotzdem sei »…die Wahrheit der Situation schon schlimm genug«, schrieb er in einem Blog-Post. Andere Forschende äußerten sich ebenfalls skeptisch und sagten, dass ein solcher Anstieg in einigen Klimasimulationen zwar plausibel vorhergesagt werden kann, die aktuellen Temperaturdaten des Planeten alleine diese Prognosen (noch) nicht bestätigen.
Die Washington Post berichtete ausführlich über die Divergenz der Meinungen. Als Basis dazu veröffentlichte sie einen Datensatz der NASA, um die globalen durchschnittlichen Temperaturen zwischen 1880 bis 2023 genauer zu betrachten.
Darin zeigte sich, dass das Tempo der Erwärmung um das Jahr 1970 deutlich beschleunigt wurde. Bisher ging man davon aus, dass diese Beschleunigung allein auf den Anstieg der Treibhausgasemissionen seit den 70er-Jahren zurückzuführen sei.
Diese Aussage ist nicht umstritten, denn vor den 70er und 80er-Jahren wurden neben fossilen Brennstoffen auch große Mengen an luftverschmutzenden Substanzen oder Aerosolen emittiert. Sulfat-Aerosole sind leicht gefärbte Partikel, die den Teil der Erwärmung, die durch fossile Brennstoffe verursacht wird, vorübergehend ausgleichen können. Sie reflektieren das Sonnenlicht zurück ins All und beeinflussen auch die Bildung reflektierender Wolken.
Mitte des 20. Jahrhunderts seien die Industrieländer so stark verschmutzt gewesen, dass sich die Welt langsamer erwärmte. »Dies war die Zeit der Londoner Nebel und der sehr extremen Luftverschmutzung in den USA«, sagte Gabi Hegerl, Klimatologin an der Universität Edinburgh. Eine aktuelle Studie im Journal of Advances in Modeling Earth Systems ergab, dass diese Teilchen in den 80er-Jahren etwa 80% der Klimaerwärmung ausgeglichen haben könnten. So hätten viele Gesetze und deren Umsetzung mit dem Ergebnis einer »sauberen Luft« dazu beigetragen, dass sich unser Planet heute viel schneller erwärme als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Wissenschaft ist nicht absolut!
Wie begründet die Vorsicht von Wissenschaftlern mit ihren Aussagen zur Geschwindigkeit der Erderwärmung ist zeigt ein Rückblick ins Jahr 2013. Damals kamen einige von ihnen zu einer gegenteiligen Schlussfolgerung bei der Tendenz des Klimawandels. Einige Wissenschaftler deuteten an, dass der Klimawandel ins Stocken geraten sei.
Die Zweideutigkeit der Analysen unterstreicht auch ein Statistikpapier von Mark Richardson, einem Klimawissenschaftler am Jet Propulsion Laboratory bei der NASA, das er letztes Jahr veröffentlichte. Darin stellte er fest, dass eine genaue Bemessung der Beschleunigung bei der Erwärmung noch nicht eindeutig nachweisbar ist. »Die Temperatur in der Nähe der Erde ist nur eine dünne Schicht und Schwankungen dieser Temperaturen sind nicht ungewöhnlich«, so Richardson. Aus diesem Grund dauere es länger, bis Wissenschaftler sicher seien, dass eine Veränderung außerhalb dessen liegt, was man normalerweise erwarten würde.
Die Ambivalenz zwischen Abnahme der Luftverschmutzung und gleichzeitiger Beschleunigung der Erderwärmung sieht auch Hansen. Er bestätigt, dass die Veränderungen bei den Aerosolen in den nächsten Jahren zu einem stärkeren Anstieg der Erwärmungsrate führen könne. So führte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation im Jahr 2020 führte eine Verordnung ein, die eine erhebliche Reduzierung des Schwefelgehalts von Schiffsdiesel vorschreibt. Die Folge: eine Reduzierung der Schwefeldioxidverschmutzung durch die Ozeanschifffahrt. Saubere Luft auch über den Meeren.
Es ist offensichtlich zu früh, um zu bestätigen, ob eine deutliche Beschleunigung im Gange ist. »Jeder Versuch, die zugrunde liegende Erwärmungsrate von kurzen Zeiträumen abzuschätzen, ist schwer«, sagte Andrew Dessler, Klimawissenschaftler an der Texas A&M University. Nur weil man einen Trend sehe, der wirklich nach Beschleunigung aussieht, sage das nicht, wo die zugrunde liegende Erwärmungsrate genau liege.
Was ist also sicher: die Erwärmung schreitet voran. Nur über die Geschwindigkeit, mit der sie voranschreitet, gibt es unterschiedliche Meinungen in der Wissenschaft.