Ein aussergewöhnlicher Plan zur Rettung des arktischen Meereises
Auf dem Meereis vor Kanadas Nordküste sitzen dick in Parkas eingehüllte Wissenschaftler und beobachten, wie Salzwasser über den gefrorenen Ozean fließt. Ihr Ziel ist die Verlangsamung des Rückgangs der Eisoberfläche.
Geo-Engineering beschäftigt sich mit verschiedenen Formen zur Eindämmung der Erderwärmung und ihrer Auswirkungen. Eine dieser Folgen ist das allmählich verschwindende arktische Meereis. So kann die immer dunklere Meeresoberfläche mehr Sonnenenergie absorbieren - was wiederum die Erwärmung des Meerwassers beschleunigt.
Der zurückgehende Albedo-Effekt
Der Albedo-Wert ist ein Maß für die Helligkeit einer Oberfläche. Er gibt Auskunft darüber, wie viele Sonnenstrahlen ein Körper reflektiert, also in den Weltraum zurückwirft. Dabei gilt: Je heller eine Oberfläche, desto mehr Sonnenstrahlen werden reflektiert und desto höher ist auch die Albedo.
Der Wert liegt immer zwischen 0 und 1. Ein Albedo-Wert von 0,3 bedeutet, dass 30% der Sonnenstrahlung reflektiert werden. Schnee- und Eisfläche haben einen Albedo-Wert von 0,75 bis 0,95, reflektieren also bis zu 95% der Sonnenstrahlung wieder zurück. Das dunkle Meerwasser hat einen Albedo-Wert von 0,1. Dies bedeutet, dass 90% der Strahlung absorbiert werden.
Die Eis-Albedo-Rückkopplung ist ein komplexer, sich selbst verstärkender Prozess. Durch die Erderwärmung schmilzt das Eis an den Polen der Erde und wird zu Meerwasser. Mit der deutlich geringeren Albedo von Meerwasser wird weniger Strahlung reflektiert. Das Meerwasser erwärmt sich weiter und führt wiederum dazu, dass mehr Eis schmilzt.
Geo-Engineering auf dem Eis
Die Experimente der Forscher im kalten kanadischen Winter dienen dazu, das Meereis zu verdicken und damit einem Abschmelzen entgegenzuwirken. Willkommen auf der etwas "verrückteren Seite" des Geo-Engineerings, mit dem wir Menschen über künstliche Eingriffe in das Klimasystem der Erde versuchen, den Schaden, den wir ihm zugefügt haben, wieder auszugleichen.
Das Ziel des ungewöhnlichen Arktis-Experiments besteht darin, genug Meereis zu verdicken, um das bereits beobachtete Schmelzen zu verlangsamen oder sogar umzukehren, so Dr. Shaun Fitzgerald, dessen Team am Centre for Climate Repair der Universität Cambridge hinter dem Projekt steht, in einem Interview der BBC.
Die große Frage, wie bei vielen derartigen Eingriffe in die natürlichen Prozesse der Erde, mit dem Ziel, die Erderwärmung aufzuhalten lautet: kann oder das Experiment funktionieren? Dr. Fitzgerald dazu: »Wir wissen tatsächlich noch nicht genug, um festzustellen, ob dies eine gute oder eine schlechte Idee ist«.
Versuche unter schwierigen Bedingungen
Die Forscher trotzten tiefsten Temperaturen in Cambridge Bay, einem kanadischen Dorf am Polarkreis. Am Experiment beteiligt ist das britische Unternehmen Real Ice. Das Verfahren beginnt mit einem Bohrloch im Meereis, das sich im Winter natürlich bildet. Anschließend werden etwa 1.000 Liter Meerwasser pro Minute über die Oberfläche gepumpt.
Wenn es der kalten Winterluft von etwa minus 30 Grad Celsius ausgesetzt ist, gefriert dieses Meerwasser schnell und trägt so zur Verdickung des Eises auf der Oberfläche bei.
Das Wasser verdichtet auch den fallenden Schnee. Da Neuschnee als gute Isolierschicht fungiert, kann sich nun auch auf der Unterseite beim Kontakt mit dem Meer leichter Eis bilden. »Die Idee dahinter ist, dass je dicker das Eis am Ende des Winters ist, desto länger wird es überleben, wenn wir in die Schmelzsaison gehen“, erklärte Andrea Ceccolini, Co-CEO von Real Ice gegenüber der BBC.
Hoffnung und Zweifel halten sich die Waage
Ein Problem bei der Umsetzung könnte darin bestehen, dass das salzigere Eis im Sommer möglicherweise schneller schmilzt.
Nicht zu vergessen ist auch die große logistische Herausforderung, das Projekt auf ein Maß der breiten Umsetzung zu bringen. Eine enorme Menge von windbetriebene Pumpen werde nach Meinung vieler skeptischen Wissenschaftler notwendig sein, um das Meereis auf nur einem Zehntel der Arktis zu verdicken.
Auch die Auswirkungen auf die Gewässerökologie durch diesen künstlichen Eingriff in natürliche Prozesse sind noch ungewiss.
Das Team um Dr. Fitzgerald ist sich dieser Bedenken sehr bewusst. Er betont, dass die Technologie lediglich getestet und nicht weiter verbreiten werde, bis Risiken und Wirtschaftlichkeit geklärt seien. „Wir propagieren dies nicht als Lösung für den Klimawandel in der Arktis“, betont Dr. Fitzgerald. »Wir sehen das System in seiner Theorie als einen Teil der Lösung, müssen noch viel mehr herausfinden, bevor die Gesellschaft dann entscheiden kann, ob es eine vernünftige Option ist - oder eben nicht.«
Auch die Forscher am Polarkreis sind sich sehr einig, dass Geo-Engineering kein Allheilmittel zur Bekämpfung des Klimawandels ist. Vielmehr sei eine drastische Reduzierung von Treibhausgasemissionen notwendig, um die schlimmsten Folgen der Erwärmung zu verhindern.
Fitzgerald und sein Team weisen darauf hin, dass die Welt auch bei schnellem Handeln immer noch vor einer schwierigen Zukunft steht. Bis 2050 dürfte der Arktische Ozean am Sommerende mindestens einmal pro Jahr frei von Meereis sein.
Auch bei diesem Geo-Engineering Experiment ist der Ausgang völlig offen. Es zeigt aber die ungewöhnlichen Wege der Wissenschaft und Forschung, zusammen mit innovativen Unternehmen wie Real Ice, dem weltweiten Defizit bei dem Ziel der Treibhausgasemissionen etwas entgegenzusetzen.