Die Gaia-Hypothese: Was Gaia nicht umbringt, macht sie nur stärker? Eine mögliche Erklärung der Biodiversität

Die Gaia-Hypothese besagt, dass die Ökosysteme der Erde ein zusammenhängendes, dynamisches System bilden. Nun behaupten Forscher, dass Katastrophen innerhalb der Biosphäre tendenziell sogar zur Stärkung dieses Systems beitragen.

Tropische Berge
Der Gaia-Hypothese zufolge beeinflussen sich Erde und Biosphäre gegenseitig. Bild: Alan Frijns/Pixabay

Erde und Biosphäre bilden ein zusammenhängendes Ganzes und ein dynamisches System. Das besagt zumindest die Gaia-Hypothese aus den 1970er Jahren von Lynn Margulis und James Lovelock. Die Gaia-Hypothese geht davon aus, dass die dynamischen Veränderungen an der Erdoberfläche die Stabilität der Biosphäre erhalten, und das bereits seit drei Milliarden Jahren. Manche Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem planetarischen Superorganismus oder von zusammenwirkenden Bakterien.

Gaia war in der griechischen Mythologie die Göttin der Erde und die Urmutter allen Lebens. Sie ist eine Allegorie von Fruchtbarkeit und Schöpfung.

Nach den ursprünglichen Gaia-Theorien vor allem von Margulis und Lovelock passte sich bei Veränderungen innerhalb der Biosphäre etwa das Klima an, oder der Sauerstoff in der Atmosphäre oder der Salzgehalt in den Ozeanen wurden verändert. Das System als solches blieb immer stabil.

Ein Zyklus von Aussterben und Erholung

Nun behaupten britische Forscher, dass verheerende Katastrophen und Aussterbeereignisse sogar einen positiven Einfluss auf Gaia haben könnten: Indem solche Ereignisse große Lücken im System der Biosphäre hinterlassen, wird die Möglichkeit geschaffen, dass sich neue Arten ausbreiten könnten.

Diese Revolutionen sind ein Merkmal und kein Fehler. Im Laufe der Erdgeschichte gab es zahlreiche Zyklen von Aussterben und Erholung.

Stressperioden bergen zwar das Risiko einer vollständigen Auslöschung, schaffen aber auch Möglichkeiten für evolutionäre Erkundungen, die sonst nicht möglich wären, so die Wissenschaftler der britischen University of Exeter. Katastrophen würden sogar jeweils zu bevölkerungsreicheren und stabileren Zuständen unter den Überlebenden führen als alternative Geschichten ohne Stressperiode, heißt es in der Studie.

Sonnenaufgang
Evolutionsbiologen zufolge könnten Störungen und Katastrophen zur Stärkung der Biosphäre beitragen. Bild: Pixabay

Die Wissenschaftler arbeiteten mit dem Tangled Nature Model of co-evolution, einem theoretischen Modell der Evolutionsbiologie und Ökologie, das verwendet wird, um die Dynamik von Ökosystemen und die Co-Evolution von Arten zu simulieren und zu verstehen. Mithilfe des Modells konnten sie ihre Theorie anhand von Daten untermauern und zeigen, wie die Evolutionsgeschichte des Lebens durch Perioden akuten Umweltstresses geprägt wird.

Bei ihren Untersuchungen ging das Team um Studienleiter Rudy Arthur davon aus, dass solch desaströse Einschnitte die eigentlichen Mechanismen sind, durch die Gaia große Sprünge in der Komplexität machen kann. Diese entropische Rückkopplung lasse sich durch drei Punkte zusammenfassen:

1. Das gaianische Gleichgewicht (Homöostase) kann durch die Evolution neuer Arten destabilisiert werden.

2. Die Ereignisse führen dazu, dass einige oder alle Kern- oder Schlüsselarten des globalen Ökosystems aussterben. Neue Kernarten entstehen, die neue Nischen schaffen und an biogeochemischen Kreisläufen teilnehmen.

3. Die Aussterbeereignisse sind nicht vollständig, zum Beispiel können Kernarten überleben, aber zu selten werden, um ihre frühere Ökosystemfunktion zu erfüllen. – Das Zurücksetzen beginnt oft von einer höheren Grunddiversität. Die Biodiversifizierung nach einem Massensterben könnte also tendenziell zu einer höheren Komplexität und Vielfalt des Lebens führen.

Aussterbeereignisse
Aussterbeereignisse mit 0, 1 und 2 Störungen. Blau: keine Störung, orange: 1 Störung, grün: 2 Störungen. y-Achse: Überlebensrate, x-Achse: Anzahl Generationen, oben: ? → 0,2, unten: ? → 0,4. Bild: Arthur, Nicholson & Mayne, 2024, S. 9

Nach jedem Ereignis können die globale Biomasse sowie die Vielfalt im Vergleich zum vorherigen Ausgangswert abnehmen oder zunehmen. Für die Untersuchung musste daher jedes einzelne Ereignis individuell analysiert und verstanden werden.

Biodiversität als Beleg für Gaia?

Es gibt eine allgemeine Tendenz, dass Systeme mit einem Gedächtnis über die Zeit an Komplexität zunehmen, ein Punkt, der in der Theorie komplexer Systeme häufig Erwähnung findet.

Für Gaia ist das Gedächtnis die globale Biota, die durch Rückschläge zwar reduziert, aber nicht beseitigt wird. Die Forscher konnten zeigen, dass wiederholte Rückschläge zu einem Trend zunehmender Vielfalt und Fülle führen, zusammen mit einer Verringerung der Massenaussterberate, was die Erde im Laufe der Zeit „gaianischer“ macht.

Bereits in früheren Arbeiten konnte der Mechanismus in einem allgemeinen Modell der Koevolution nachgewiesen werden und auch durch die Literatur über Massenaussterben und Biodiversität im Laufe der geologischen Zeit gestützt werden. Mit ihrer neuen Modelluntersuchung konnten die Autoren diese Annahme erneut bestätigen.

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Quelle:

Arthur, R., Nicholson, A. E., & Mayne, N. J. (2024). What doesn't kill Gaia makes her stronger. MNRAS, Preprint, 1–12. https://doi.org/10.48550/arXiv.2405.05091