Arktisforschung: Ausschluss russischer Stationen verzerrt Datengrundlage
Der Ausschluss russischer Stationen aus der Arktisforschung verzerrt die Gesamtbetrachtung der Arktis und des arktischen Wandels. Wie Forscher nun feststellen, sind die Folgen für die Erforschung des Klimawandels weitreichend.
Seit Beginn des Ukrainekriegs wurde die transnationale Zusammenarbeit mit Russland fundamental infrage gestellt und das Land von internationalen Projekten weitestgehend ausgeschlossen. Insbesondere bei der Erforschung der Arktis, bei der Russland durch seine geografische Größe eine zentrale Rolle einnimmt, wird deutlich, wie sehr sich der Ausschluss auf die Forschung auswirkt.
In der Arktis als räumlicher Schwerpunkt der Klimawandelforschung werden Daten zu Permafrost, Eisdecke und zum arktischen Wandel erhoben. Ein Forscherteam hat nun die Repräsentativität von Daten mit und ohne russische Forschung berechnet, mit dem Ergebnis: Ohne russische Forschungsdaten wird die ohnehin schon dünne Datengrundlage bei der Erforschung des arktischen Wandels noch weiter verzerrt.
Übrigens war auch die Arbeit des Arktischen Rates vom Russland-Boykott betroffen. Der Arktische Rat – 1996 in Norwegen gegründet – gilt als wichtigste Instanz bei der Koordinierung politischer Aktivitäten des geopolitisch nicht klar aufgeteilten Erdteils. Alle zwei Jahre wird der Vorsitz des Arktischen Rates neu bestimmt, wobei in den Jahren 2021 bis 2023 Russland den Vorsitz innehatte. Seit dem Ukrainekrieg wurde jedoch die Arbeit des Rates pausiert und erst später wieder aufgenommen. Seit 2023 hat Norwegen den Vorsitz inne.
Veränderungen in der Arktis können globale Auswirkungen haben
Bereits jetzt ist die Sicht auf den arktischen Wandel verzerrt: Begrenzte Finanzen und logistische Mittel hatten zur Folge, dass nur wenige Forschungsstationen in der Arktis eingerichtet wurden. Die Datenerhebungen und die daraus resultierende Forschung basieren also bereits auf nicht idealen Stichproben. Die Repräsentativität steht also ohnehin infrage, insbesondere im Falle Sibiriens oder der kanadischen Hocharktis.
Viele Bewertungen basieren auf Vor-Ort-Daten, die nun hauptsächlich aus den nichtrussischen Teilen der Arktis stammen werden. Dadurch wird die Beurteilung von Zustand und Wandel der Arktis stark verfälscht.
INTERACT (International Network for Terrestrial Research and Monitoring in the Arctic) ist ein panarktisches Infrastrukturnetzwerk. Das INTERACT-Netzwerk ist mit insgesamt 94 Forschungsstationen das umfangreichste Netz von Forschungsstationen in der nördlichen Hemisphäre. 21 Stationen befinden sich in Russland.
Das Forscherteam um Efrén López-Blanco berechnete nun die zusätzliche Verzerrung durch den geopolitischen Konflikt. In ihrer Veröffentlichung in "Nature" zeigen die Wissenschaftler, wie die Bedingungen mit und ohne russische Daten dargestellt werden können. Dabei verwenden sie eine Reihe von Erdsystemmodellen und untersuchen acht Ökosystemvariablen wie etwa Lufttemperatur, Gesamtniederschlag, Schneehöhe, Bodenfeuchtigkeit, Biomasse der Vegetation oder Bodenkohlenstoff. Die Variablen wurden nach wichtigen aktuellen Trends und Auswirkungen des arktischen Klimawandels ausgewählt.
Monatlich wurden Daten für den gesamten arktischen Bereich zusammengestellt und verarbeitet. Zur Beschreibung der gegenwärtigen Bedingungen wurden die Mittelwerte der Jahre 2016 bis 2020 verwendet. Zum Vergleich wurden auch die Werte bis zum Ende des 21. Jahrhunderts – 2096 bis 2100 – geschätzt.
Die Lufttemperatur beispielsweise fasst den Energiehaushalt der Oberfläche und der Atmosphäre zusammen. Die Temperaturen in der Arktis haben sich drei- bis viermal so stark erwärmt wie die der Erde und sind im Zeitraum 1971 bis 2019 um circa 3 °C gestiegen.
Zusammen mit den Lufttemperaturen sind die Gesamtniederschläge die treibenden Kräfte für Veränderungen im Ökosystem. Die Niederschläge in der Arktis nehmen derzeit drastisch zu. Das arktische System ist in den Wintermonaten in der Regel schneebedeckt, so dass die Zwischensaison – Frühling und Herbst – besonders empfindlich auf Veränderungen durch die Erwärmung reagiert.
Die Ausdehnung der Schneedecke zwischen Mai und Juni ist im Zeitraum von 1971 bis 2019 um 21 % zurückgegangen. Dieser prozentuale Verlust ist größer als der Verlust des Meereises im September.
Sowohl die Niederschlags- als auch die Schneedynamik gehören zu den Schlüsselfaktoren für die Bodenfeuchtigkeit, die gleichzeitig Auswirkungen auf die Pflanzenwelt hat. Der Grünanteil der Tundra hat zwischen 1982 und 2019 um 10 % zugenommen, obwohl einige Regionen eine Braunfärbung aufweisen.
Veränderungen der Bodentemperatur und des Permafrosts wirken sich stark auf die Freisetzung von Treibhausgasen in der Atmosphäre aus, und damit auf das globale Klima.
Das Ergebnis: Der Ausschluss der russischen Stationen aus dem Netzwerk führte zu einem deutlichen Verlust an Repräsentativität bei fast allen Variablen. Zum Beispiel geht mit dem Ausschluss Russlands etwa die Hälfte der INTERACT-Stationen in der borealen Zone verloren, womit auch der Taigawald Sibiriens nicht mehr in den Daten auftaucht. Dies führt zu zusätzlichen Verzerrungen, insbesondere in Bezug auf die Biomasse der Vegetation. Da es sich um eine Region handelt, die sich durch einen raschen Klimawandel auszeichnet, könnte sich der Verlust sibirischer Forschungsstationen besonders nachteilig dabei auswirken, die globalen Auswirkungen des auftauenden Permafrosts, der Verschiebungen in der biologischen Vielfalt zu verfolgen.
Aufgrund der geopolitischen Folgen des Ukrainekriegs ist es also noch schwieriger geworden, die Folgen des Klimawandels in der Arktis zu prognostizieren. Damit ist es kaum möglich, wirksame Initiativen ins Leben zu rufen, die einige der negativen Folgen und Risiken des Klimawandels mindern könnten.