Albedo: Rückstrahlvermögen der Erde erreicht Rekordtief – zusätzlich 0,2 Grad Celsius Erwärmung?
Das Jahr 2023 brachte neue Klimarekorde, doch ein unerwarteter Faktor sorgt für Rätsel: Der Verlust der planetaren Albedo durch weniger reflektierende Wolken könnte die globale Temperatur um 0,2 °C erhöht haben. Die Folgen für das Klima sind alarmierend.
Das Jahr 2023 brach zahlreiche Klimarekorde: Gletscher sind in Rekordgeschwindigkeit geschmolzen, Meeresspiegel schneller denn je gestiegen – und die globale Durchschnittstemperatur hat fast 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau gele gen. Der neue Höchstwert übertraf den bisherigen Rekord um 0,17 Grad Celsius und stellt die Wissenschaft vor neue Fragen.
Bekannte Klimafaktoren reichen nicht aus, um zu erklären, was den sprunghaften Anstieg um die zusätzlichen 0,2 Grad Celsius Erwärmung verursacht haben könnte. Klimaforschende haben zunächst verschiedene Faktoren in Betracht gezogen, wie den El Niño-Effekt, erhöhte Sonnenaktivität oder weniger Aerosolpartikel, doch keiner dieser Faktoren konnte die Erklärungslücke schließen.
Eine neue Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) hat nun eine mögliche Ursache identifiziert: den Rückgang der planetaren Albedo. Die planetare Albedo beschreibt das Rückstrahlvermögen der Erde, also den Anteil der Sonnenstrahlen, die ins All zurückgeworfen werden.
„Auffällig war, dass sowohl im Datensatz der NASA als auch vom ECMWF 2023 als das Jahr mit der niedrigsten planetaren Albedo hervorsticht“, sagt Co-Autor Dr. Thomas Rackow vom ECMWF. „Wir konnten bereits in den letzten Jahren einen gewissen Rückgang erkennen. Die Daten legen nun nahe, dass die planetare Albedo 2023 so niedrig wie nie seit mindestens 1940 gewesen sein könnte.“
Weniger Wolken als Hauptfaktor
Das Forscherteam fand heraus, dass vor allem ein Rückgang niedriger Wolken in den nördlichen mittleren Breiten und den Tropen für den Verlust der Albedo verantwortlich ist. Besonders betroffen war der Nordatlantik, wo 2023 extreme Hitzerekorde verzeichnet wurden.
Die Ursachen des Wolkenrückgangs sind komplex und noch nicht abschließend geklärt. Vermutlich spielen weniger Aerosole eine Rolle, die als Kondensationskeime für die Wolkenbildung dienen und das Sonnenlicht reflektieren. Strengere Umweltschutzauflagen, etwa bei Schiffsemissionen, könnten dazu beigetragen haben. Daneben könnten auch natürliche Schwankungen und ozeanische Wechselwirkungen eine Rolle spielen.
Als dritte Möglichkeit könnte auch die Erderwärmung selbst diesen Effekt verstärken: „Sofern hinter dem Albedo-Rückgang eine verstärkende Rückkopplung zwischen Erderwärmung und Wolken steckt, wie auch einige Klimamodelle nahelegen, müssen wir mit einer recht starken zukünftigen Erwärmung rechnen“, Dr. Helge Gößling, Hauptautor der Studie vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Sollte der Rückgang niedriger Wolken eine verstärkende Rückkopplung zwischen Erwärmung und Wolkenbildung darstellen, könnte demnach die Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius, die im Pariser Abkommen als kritische Grenze festgelegt wurde, schneller erreicht sein als bisher angenommen. Die verbleibenden CO₂-Budgets müssten daher dringend angepasst werden.
Die Studie beweist die Notwendigkeit internationaler Klimaschutzmaßnahmen. Die Politik muss nicht nur die Emissionen weiter senken, sondern auch Maßnahmen zur Anpassung an extreme Wetterereignisse verstärken.
„Wir könnten einer globalen Klimaerwärmung von über 1,5 Grad Celsius bereits näher sein als bislang gedacht“, sagt Gößling. „Die verbleibenden Treibhausgasemissionen, die mit diesen Haltelinien des Paris-Abkommens verbunden sind, müssten entsprechend nach unten korrigiert werden, und Maßnahmen gegen die Folgen zu erwartender Wetterextreme würden noch dringlicher.“
Die Studie macht deutlich, dass die Klimakrise keine langfristige Bedrohung ist, sondern bereits heute massive Auswirkungen hat, die nur durch sofortiges Handeln gemildert werden können.
Quellenhinweis:
H. F. Goessling, T. Rackow, T. Jung (2024): Recent global temperature surge intensified by record-low planetary albedo, Science. https://doi.org/10.1126/science.adq7280