Achtung - Experte Ralf Roschlau warnt: "Zuviel regenerativ erzeugter Strom belastet die nicht ausreichenden Stromnetze"

Die Energiewende in Deutschland nimmt weiter Fahrt auf. Weit über 50% des Stromanteils werden mittlerweile regenerativ erzeugt. Die Kehrseite: fehlende Netz- und Speicherkapazitäten belasten den Staat – und die Verbraucher.

Netzausbau und Stromspeicher sind Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Energiewende

Energiewende mit historischen Planungsfehlern

Die erneuerbaren Energien in Deutschland haben auch dieses Jahr an Bedeutung zugenommen, und zwar um 9% in der Produktionsleistung. Der Anteil der Regenerativen betrug im ersten Halbjahr 2024 ca. 57 Prozent des deutschen Strommixes. Der Anteil der konventionellen Energieträger, hauptsächlich Kohle und Erdgas, sank auf 43 Prozent.

Schöne Zahlen, aber leider mit mindestens zwei Kehrseiten.

Jeder von uns weiß, dass ohne eine Leitung kein Strom aus der Steckdose kommt. Und alle privaten Produzenten von Solarstrom mit Photovoltaik-Anlagen (PV) ohne Batteriespeicher wissen, dass ein großer Anteil des produzierten Stroms zu billigen Preisen abgegeben werden muss.

Das ist auch im großen deutschen Strommarkt nicht anders.

Stromnetzkapazität: mangelhaft

Deutschland hat sich seit über einem Jahr von der Atomenergie verabschiedet. Der befürchtete Blackout war eine Nebelkerze, an deren Zündung auch die Medien heftig beteiligt waren. Die Sorgen um die Stromversorgung als Bestandteil der Energiewende haben sich zerstreut. Aber technische Problemzonen bleiben.

Zunächst für alle zum Merken: Nein, die Ampelregierung ist nicht an diesen Problemzonen schuld, denn das Problem ist historisch, also von den Vorgängerregierungen an die derzeitige Koalition vererbt. Dieses Erbe hat aber durch die Energiewende zu einer Mangelverstärkung geführt

Die Integration erneuerbarer Energien in das bestehende Stromnetz ist der zentrale Bestandteil der Energiewende. Deren Herausforderungen sind groß, da die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne, im Gegensatz zu konventionellen Stromerzeugern, stark schwankt. Nur wenn die Sonne scheint, kann PV-Strom produziert werden. Nur wenn es genügend Wind gibt, produzieren die Windkraftanlagen unseren Windstrom. Und wenn die Sonne zu sehr scheint und der Wind zu sehr bläst und beide natürliche Energiequellen zu viel produzieren, schalten die Netzbetreiber die Regenerativen einfach ab.

Abregelung als Lösung bei Überproduktion

Anders als bei unseren skandinavischen Nachbarn haben wir in Deutschland keine Speicherlösungen für regenerativen Strom, der von den Verbrauchern nicht abgefordert wird. Dadurch sind die Netzbetreiber gezwungen, flexibel auf die Produktionsschwankungen zu reagieren, um damit die Stabilität unserer Stromnetze zu gewährleisten.

Das Zauberwort aus diesem Dilemma lautet „Redispatch“. Glücklicherweise muss der Zauber immer nur kurzfristig wirken, denn es geht ausschließlich um die Suche und Findung der richtigen „Balance“ zwischen zu hoher Einspeisung bei gleichzeitig zu niedriger Nachfrage oder bei zu geringen Durchleitungskapazitäten der Stromnetze.

Bei einer Redispatch-Situation werden Windkraftanlagen abgeschaltet. Große Solarpark werden vom Netz genommen. In beiden Fällen wird eine Netzüberlastung vermieden. Um Engpässe auf der Nachfrageseite der Stromverbraucher zu vermeiden, werden dann entweder die Kapazitäten dezentraler, fossiler Kraftwerke kurzfristig angepasst oder Strom zum Beispiel aus der Schweiz oder Österreich in die Bundesländer des wirtschaftsstarken Südens importiert.

Der bestens funktionierende europäische Strommarkt sorgt also dafür, dass weder Industrie noch Verbraucher in ganz Europa bei Redispatch-Sitiuationen Unterbrechungen in der Stromversorgung haben.

Derartige Situationen betreffen nicht nur das deutsche Stromnetz, sondern den gesamten europäischen Markt der regenerativen Stromerzeugung in Ländern, die ebenfalls keine ausreichenden Speicherkapazitäten oder zu geringe Netzkapazitäten haben.

Multiple Lösungsansätze sind vorhanden

Die europäische Politik hat längst entschieden, dass mittel- und langfristig Maßnahmen wie der Ausbau von Speicherkapazitäten, die Schaffung von sogenannten "Smart Grids" und in erster Linie der Netzausbau notwendig sind, um die Energiewende durch ausreichende Infrastruktur zu begleiten.

In Deutschland hat der Bundestag Ende Juli eine Gesetzesänderung beschlossen, mit der der Ausbau von zwei Stromtrassen, die Ökostrom vom Norden Deutschlands in den Süden transportieren sollen, vorgezogen werden soll. Insgesamt wurden neun Leitungen vorzeitig in den Bundesbedarfsplan aufgenommen, deren Bau damit schneller umgesetzt werden soll.

Die neun Stromautobahnen sind als Erdkabel geplant. Sie sind Teil des sogenannten Nord-Ost-Links, der Strom von Schleswig-Holstein nach Mecklenburg-Vorpommern transportiert und des Rhein-Main-Links, der Strom aus Niedersachsen künftig besser in den Süden leiten soll.

Der Ausbau der Leitungen soll laut Gesetzentwurf rund 47 Milliarden Euro kosten. Die Baukosten könnten als zusätzliche Netzentgelte auf die Verbraucher umgelegt werden. Über diese Zuschläge stiegen die Stromkosten um etwa 80 Euro netto pro Haushalt.

Die Einführung von Smart Grids ist in Deutschland noch eher unbekannt. Ihre Umsetzung unterliegt noch keinem Zeit- oder Maßnahmeplan. Bei einem Smart Grid werden Stromerzeugung, -speicherung und -verbrauch optimal aufeinander abgestimmt. Leistungsschwankungen sollen so besser ausgeglichen werden.

Smart Grid arbeiten über Informations- und Kommunikationstechnologie sowie dezentral organisierte Energiemanagementsysteme. Parallel zum Stromnetz entsteht also ein Datennetz, das die schwankende Energiezufuhr und die Stromversorgung im Netz intelligent regelt.

Erkennt das Smart Grid beispielsweise, dass mehr Strom produziert als benötigt wird, lassen sich im intelligenten Netz einzelne Anlagen wie Windräder oder Solaranlagen gezielt drosseln.

Damit das Smart Grid richtig arbeiten kann, müssen neben den intelligenten Messsystemen verschiedene weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Das zentrale Element sind Stromspeicher, in denen überschüssige Strommengen aus der Produktion erneuerbarer Energien zwischengelagert werden.

Ein weiterer entscheidender Baustein für das Stromnetz der Zukunft ist, dass sich alle Anlagen mit dem intelligenten Stromnetz verständigen können. Diese Fähigkeit wird als „Smart Grid Ready“ oder auch „SG Ready“ bezeichnet.

Fazit

Der Ausbau von Stromtrassen ist der wichtigste, aber nicht der einzige Schritt, um Redispatch-Situationen zu vermeiden. Ihre Umsetzung ist im bürokratisch durchgestylten Deutschland zeitlich nicht fest einzuschätzen.

Daher erscheint der Ausbau von Speicherkapazitäten, zusammen mit der Umsetzung von Smart Grid-Planungen als kurzfristig einfacherer Weg.

Als ergänzende Lektüre empfehle ich die Beschreibung der „100 % Renewable Scenarios“ von IRENA.

Quellenhinweis:

100 % Renewable Scenarios