Universität Berkeley warnt: Tropische Andengletscher auf dem niedrigsten Stand seit mindestens 11.000 Jahren
Die Größe der Andengletscher in Kolumbien, Peru und Bolivien ist so stark geschrumpft wie seit dem Aufkommen der menschlichen Zivilisation nicht mehr.
99 % der tropischen Gletscher befinden sich in den südamerikanischen Anden, 71 % davon in den peruanischen Anden, der Rest in den Gebirgszügen von Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Bolivien, Chile und Argentinien.
Die tropischen Gletscher Südamerikas sind besonders empfindliche Ökosysteme, da sie sich in einer der wärmsten Regionen der Erde befinden, was bedeutet, dass es praktisch keinen Schnee gibt und es daher schwierig ist, Eis zu akkumulieren. Vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung haben sich die Gletscher in den letzten Jahrzehnten stark zurückgebildet.
Die weltweite wissenschaftliche Gemeinschaft versucht, das Ausmaß des Rückgangs im Vergleich zu den periodischen Vorstößen und Rückzügen der Gletscher seit dem Ende der Eiszeit vor etwa 12 000 Jahren zu bestimmen. Eine Studie der University of California, Berkeley, versucht, Licht in diese Angelegenheit zu bringen.
Die Bedeutung der Gletscher
Die Gletscher der Welt sind für mehr als 75 % des verfügbaren Süßwassers verantwortlich. Sie sind für den Wasserkreislauf von wesentlicher Bedeutung, da sie als Wasserspeicher einen Teil der jährlichen Niederschläge auffangen.
Zehn Prozent der Erde sind von Gletschern bedeckt, während dieser Prozentsatz in jüngeren geologischen Zeiten bei 30 % lag.
Die Gletscherschmelze ist eine der sichtbarsten Auswirkungen des Klimawandels: Bei steigenden Temperaturen schmilzt das Gletschereis stärker als der Schnee nachwachsen kann. Dies führt zu einem Anstieg des Wassers in flüssiger Form und bedroht die Wasserversorgung für Bewässerung, Trinkwasser und Stromerzeugung.
Andererseitswird durch das Abschmelzen der Gletscher die felsige Oberfläche freigelegt, die die Sonnenenergie absorbiert und damit zum Anstieg der globalen Temperaturen beiträgt.
Die Gegenreaktion
Diese neue Studie untersuchte den Zustand von vier Andengletschern in Kolumbien, Peru und Bolivien und stellte fest, dass der Rückzug zumindest in den Tropen beispiellos ist.
Laut Andrew Gorin, Doktorand an der UC Berkeley und Erstautor der Studie, sind die Gletscher wahrscheinlich kleiner als in den letzten 125 000 Jahren, bevor die letzte Eiszeit begann (vor 120 000 Jahren). Aufgrund der geringen Genauigkeit der Daten ist eine Extrapolation so weit in die Vergangenheit jedoch nicht möglich.
Die neuen Erkenntnisse sind daher ein Zeichen dafür, dass sich wahrscheinlich mehr Gletscher auf der Welt viel schneller zurückziehen als vorhergesagt, möglicherweise Jahrzehnte früher als bisher angenommen.
Gletscher im Holozän und im Anthropozän
Durch die Erwärmung im Holozän wurde das Klima auf der Erde stabiler und angenehmer, was den Aufstieg der Zivilisation ermöglichte, da mit dem Rückzug der Gletscherschilde auf der ganzen Welt landwirtschaftliche und kommerzielle Aktivitäten aufkamen.
"Da der Rückzug der modernen Gletscher in erster Linie auf steigende Temperaturen zurückzuführen ist, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Tropen bereits aus dem Holozän in das Anthropozän übergegangen sind" ,so Jeremy Shakun, Paläoklimatologe am Boston College und Leiter der Studie.
Das Anthropozän wird von vielen Wissenschaftlern als eine neue Ära bezeichnet, in der der Mensch der Hauptverursacher der globalen Erwärmung ist, die diesen raschen Wandel des Erdklimas hervorruft.
Der Kanarienvogel in der Mine
Eine frühere Studie von Shakun und einem internationalen Team von Wissenschaftlern zeigte, dass die Gletscher auf der Nordhalbkugel von Alaska bis Kalifornien bis zur industriellen Revolution stetig wuchsen und dann zu schrumpfen begannen.
Im Jahr 1950 gab es in Venezuela zehn tropische Gletscher. Heute ist nur noch einer übrig: der La Corona-Gletscher auf dem Humboldt-Gipfel. Die anderen neun sind bereits Geschichte. In Mexiko sind die meisten tropischen Gletscher bereits verschwunden, und Prognosen zufolge wird es bis 2050 keine Gletscher mehr im Land geben.
Wenn die Gletscher verschwinden, hat das Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit, den Tourismus, die Stromerzeugung und den Verlust der biologischen Vielfalt in der Andenregion, da dort bis zu 20.000 endemische Pflanzenarten vorkommen.
Wir werden wahrscheinlich die letzte Generation sein, die die tropischen Andengletscher noch erlebt. Aber wir könnten auch die ersten sein, die die Entscheidung treffen, sie zu retten.
Quellenhinweis:
Gorin AL, Shakun JD, Jones AG, et al. Recent tropical Andean glacier retreat is unprecedented in the Holocene. Science. 2024;385(6708):517-521. doi: 10.1126/science.adg7546