Die schwindende Widerstandskraft unseres Planeten! Welche Folgen wird das für uns haben?
Zum ersten Mal hat ein Forschungsteam alle neun planetaren Belastungsgrenzen quantifiziert, die zusammen betrachtet einen sicheren Handlungsraum für die Menschheit definieren. Sechs von neun davon sind bereits überschritten
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben mit ihrer Betrachtung einen detaillierten Überblick über die schwindende Widerstandsfähigkeit unseres Planeten. Durch die globale Erwärmung, die Veränderungen der Biosphäre, die Entwaldung, die Zunahme von Schadstoffen, speziell Plastik, die Stickstoffkreisläufe und die Süßwasser-Situation: Sechs von neun der planetaren Grenzen sind heute schon überschritten. Gleichzeitig wächst der Druck globaler Prozesse auf diese Grenzen weiter. Die neue Studie wurde am 13. September in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.
Einer der Mit-Autoren der Studie, Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), sagte in einer Presseerklärung: »Dieses Update der Bericht zu den planetaren Grenzen zeigt deutlich: die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht. Der Druck auf den Planeten nimmt weiter zu, dabei werden lebenswichtige Belastungsgrenzen überschritten. Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen.«
Erstmalig vollständige Überprüfung
Diese nunmehr zweite Aktualisierung der planetaren Grenzen seit ihrer Einführung im Jahre 2009 enthält erstmals eine vollständige Überprüfung aller neun Prozesse und Systeme. Die bestimmen zusammengenommen die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Planeten. Eine Grenzüberschreitung ist zwar nicht bedingungslos gleichbedeutend mit drastischen, sofort sichtbaren Veränderungen. Sie markiert allerdings kritische Schwellen für erheblich steigende Risiken.
Die Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen erklärt dazu in einem Bericht des Scientific American: »Wir können uns die Erde ähnlich eines menschlichen Körpers vorstellen und die planetaren Grenzen ähnlich eines Blutdruckwertes. Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko. Deshalb arbeiten wir daran, dieses Risiko für die planetaren Grenzen zu senken. Der Grenzwert für den Ozonabbau wurde beispielsweise bis dato nicht global, aber vermehrt regional überschritten. Obwohl das in der Antarktis immer noch der Fall ist, zeichnet sich dort bereits eine leichte Verbesserung ab – dank globaler Initiativen, die durch das Montrealer Protokoll von 1987 erreicht wurden.«
Jenseits von Klima: Was ist neu im zweiten Update?
Zum ersten Mal wurde die Grenze für so genannte novel entities, also neuartige Stoffe, quantifiziert. Die Bewertung zeigt, dass deren Einbringungswerte überschritten sind. Novel entities umfassen den Eintrag aller neuartigen, vom Menschen erzeugten chemischen Verbindungen in die Umwelt, z.B. Mikroplastik, Pestizide oder Atommüll. Weiterhin wurden erstmals wissenschaftliche Belege für die Quantifizierung der Grenze für die Aerosolbelastung der Atmosphäre ausgewertet. Diese Grenze ist noch nicht überschritten, allerdings kann es regional zu Überschreitungen kommen, z.B. in Südasien.
Die Grenze für Süßwasser bezieht sich zum einen auf sogenanntes grünes Wasser, das in landwirtschaftlichen und natürlichen Böden und Pflanzen enthalten ist. Zum anderen wurde auch blaues Wasser, also das Wasser der Flüsse, Seen usw. bewertet. Beide Grenzwerte sind überschritten.
Als weiteres Novum wurde eine neue Kontrollvariable für die Grenze zur Funktionsfähigkeit der Biosphäre im Erdsystem eingeführt. Die Analyse ergab auch hier eine Überschreitung, welche schon seit dem späten 19. Jahrhundert besteht. In dieser Zeit wurde die Land- und Forstwirtschaft weltweit stark ausgeweitet. Das Forschungsteam betont, dass die Widerstandsfähigkeit des Planeten von weit mehr als nur vom Klimawandel abhängt.
Der Mitautor der Studie und Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK, Wolfgang Lucht, erklärte dazu: »Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten. Und wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule, indem wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden usw. Unsere Forschung zeigt, dass in Zukunft beides Hand in Hand gehen muss: die globale Erwärmung begrenzen und eine funktionierende Biosphäre erhalten.«
Das Erdsystem als Ganzes betrachten
Der Einsatz leistungsfähiger Computermodelle und -simulationen am PIK spielte bei der Studie eine wichtige Rolle. Das Potsdamer Erdsystemmodell (POEM) wurde beispielsweise zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Klima und Biosphäre eingesetzt. Die Entwicklung der Erde wurde mit POEM und seinem Biosphärenmodell Lund-Potsdam-Jena Managed Land für mehrere hundert Jahre in die Zukunft berechnet. Damit berücksichtigt es nicht nur Prozesse, die relativ schnell auf Veränderungen reagieren, sondern auch die viel langsameren Erdsystemprozesse, die letztlich das Endergebnis der heute verursachten Umweltveränderungen bestimmen.
»Wissenschaft und Gesellschaft sind äußerst besorgt über die zunehmenden Anzeichen, dass die Widerstandsfähigkeit des Planeten schwindet, wie sich in der Überschreitung der planetaren Grenzen zeigt. Dies bringt mögliche Kipppunkte näher und verringert die Chance, die wir noch haben, die planetare Klimagrenze von 1,5°C einzuhalten«, betonte PIK-Direktor Johan Rockström. Er bezeichnete es gleichzeitig als echten Durchbruch, dass der sichere Handlungsraum für die Menschheit auf der Erde nun wissenschaftlich quantifiziert sei. Dies gebe nun allen Akteuren einen Leitfaden in die Hand, um notwendige Maßnahmen vorzuschlagen und liefere das erste vollständige Bild der Kapazitäten unseres Planeten, den von der Menschheit erzeugten Druck auf die Systeme abzufedern.
Fazit
Auch dieser Bericht liefert der Politik wieder eine Steilvorlage für Beschlüsse und deren Umsetzung. Mit den Kernaussagen derartiger Studien schafft die Wissenschaft eine Grundlage dafür, durch rasche, gemeinsame und vor allen Dingen systematische Anstrengungen Schritt für Schritt die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten zu schützen.
Gleichzeitig sorgen die richtigen politischen Entscheidungen auch für eine allmähliche Erholung und letztendlich die Wiederherstellung eines lebenswerten Planeten für zukünftig 10 Milliarden Menschen. Hoffen wir alle darauf, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als die drei agierenden Säulen des Systems den Inhalt derartiger Studien nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern die aktuellen und zukünftigen Empfehlungen der Wissenschaft auch umsetzen.