Klimaexperte Ralf Roschlau erklärt: Was bedeutet die Entkopplung des Wirtschaftswachstums von den CO2-Emissionen?
Ich hatte diese Woche eine Diskussion mit dem Redakteur einer Lokalzeitung zu Volkswirtschaften in Zeiten der Klimaveränderungen. Seine Kernbotschaft: Nicht alles, was mittelfristig den Planeten retten könnte, ist volkswirtschaftlich tragfähig. Stimmt dieser Sstz tatsächlich?
Eine Transformation der Wirtschaft im Hinblick auf die Klimafolgen ist notwendig
Die Hauptkritikpunkte seines Leitartikels waren die Notwendigkeit von Bürokratieabbau sowie die Forderung nach enerellen Gesetzeserleichterungen für die Wirtschaft, wie zum Beispiel durch die Abschaffung des Lieferkettengesetzes oder des europäischen Entwaldungsgesetzes.
Hinter diesen beiden Themen betonte er die Notrufe der Wirtschaft an die Politik, alles dafür zu tun, um die Rezession zu beenden. Die Regierung sah er aus ideologischen Gründen taub gegen die "wirtschaftliche Hilfeschreie". Er schrieb dazu:
Wirtschaftswachstum und gleichzeitige Emissionereduzierung sind möglich!
Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) veröffentlichte genau fünf Tage nach meiner Diskussion mit besagtem Redakteur eine Analyse, die meine These bestätigte: Eine durchdachte und intelligente Transformationspolitik führt dazu, dass sich Wirtschaftswachstum und Emissionsreduzierung nicht ausschließen, sondern komplementär und harmonisch nebeneinanderr möglich sind.
Die Autorinnen und Autoren der Studie schreiben, dass es immer mehr Regionen der Erde gelänge, wirtschaftlich zu wachsen und gleichzeitig CO2-Emissionen zu reduzieren. Ein solche Aussage impliziert einen nationalen Paradigmenwechsel, und zwar dahingegend dass man die Auswirkungen der Klimaveränderungen auch volkswirtschaftlich zu berücksichtigen habe.
Die Forschenden zeigen, dass als Folge stringente, nationale Klimaschutzmaßnahmen eine entscheidende Rolle dabei spielen, die beiden Faktoren Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen voneinander zu entkoppeln.
Analyse von 1.500 Regionen mit Beobachtungen über 30 Jahre hinweg
Ein entscheidendes Kriterium für die Aussage is die Datentiefe der Studie. Die Analyse der Daten der vergangenen 30 Jahre aus über 1.500 Regionen in aller Welt zeige auf, dass es 30 Prozent der Analysierten gelungen sei, ihre CO2-Emissionen zu senken und gleichzeitig ihr Wirtschaftswachstum zu fördern.
Die Studie besätigt, dass sich dieser Trend verstärke und damit einen wichtigen Fortschritt darstelle. Allerdings warnen die Autorinnen und Autoren, dass das derzeitige Tempo der Entkopplung nicht ausreiche, um Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen. Dies war eines der Kriterien des Pariser Klimaschutzabkommens auf der Weltklimakonferenz von 2015.
so Anders Levermann, Autor der in Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie und Leiter der Forschungsabteilung „Komplexitätsforschung“ am PIK.
Regionen mit hohem Einkommen und einer Tradition CO2-intensiver Industrien sowie Regionen mit einem hohen Anteil an Dienstleistungssektoren und verarbeitender Industrie hätten besonders erfolgreich CO2-Emissionen bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum senken können.
Die Autoren betonen, dass die globale Durchschnittstemperatur nur bei Netto-Null-Emissionen stabilisiert könne.
Der Erfolg dieser Entkopplung wird auch von Klimaschutzmaßnahmen auf regionaler Ebene bestimmt. Vor allem Städte in der EU, die Klimaschutzpläne umgesetzt haben, und Regionen, deren Klimamaßnahmen zunehmend finanziell gefördert wurden, wiesen höhere Entkopplungsraten auf, wie die PIK-Forscherin Maria Zioga, Hauptautorin der Studie, erklärte.
Im Gegensatz dazu würden die Entkopplungsmuster in Nordamerika und Asien im Laufe der Jahrzehnte eher zu Schwankungen neigen, wobei sich der Trend verbessert habe.
These: Weniger als die Hälfte der Regionen weltweit wird bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen können
Während sich frühere Studien zur Entkopplung von CO2-Emissionen und Wirtschaftswachstum in erster Linie auf Staaten oder einzelne Städte konzentrierten, haben die PIK-Forschenden einen detaillierteren Ansatz gewählt, ohne dabei die globale Dimension aus den Augen zu verlieren.
Die analysierten Wirtschaftsleistungen von 1.500 subnationalen Regionen, wie chinesische Provinzen, US-amerikanische Bundesstaaten oder deutsche Bundesländer, in denen das beobachtete Bruttoregionalprodukt anstieg, gäben nach Meinung der Forschende,n ein wesentlich schärferes Bild ab.
Die Datenmenge ist insofern beachtlich, als die untersuchten Regionen für 85 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sind. Durch die Kombination deren Daten mit CO2-Emissionen der vergangenen 30 Jahren identifizierten die Wíssenschaftler globale Entkopplungsmuster.
Leider gibt es bis heute keine weltweiten Daten zu konsumbedingten Emissionen auf regionaler Ebene. Somit können die Studie nicht die Auswirkungen des internationalen Handels abbilden. In der Summe bietet sie aber dennoch wichtige Einblicke in weltweite Trends der Entkopplung.
Regionale Jahresprognosen der Netto-.Null-Ziele
Die Forschenden ermittelten auch in den Regionen das jeweilige Jahr, in dem die Netto-Null-Emissionen jeweils dort erreicht werden könnten. Dazu analysierten sie vergangene Entkopplungstrends.
Studienautor Maximilian Kotz, zum Zeitpunkt der Studie Wissenschaftler am PIK dazu:
Insgesamt seien sind die jüngsten Trends jedoch nicht ausreichend, um bis Mitte des Jahrhunderts Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Kotz fuhr dzu fort:
Auf allen Ebenen müssten deshalb größte Anstrengungen unternommen werden. Insbesondere fordere die Studie auf, dass die Industrieländer ihr Engagement zur Erreichung der Netto-Null-Ziele deutlich intensivieren müssten. Eine große Bedeutung hätten die Investitionen in die Energiewende im globalen Süden, dei deutlich erhöht werden müsstn.
Quellenhinweis
Artikel: Maria Zioga, Maximilian Kotz, and Anders Levermann (2024): Observed carbon decoupling of subnational production insufficient for net-zero goal by 2050.
Erschienen in den Proceedings of the National Academy of Sciences.