Ist grüner Wasserstoff der Schlüssel für ein Ende der fossilen Energieträger? Experte Ralf Roschlau gibt Antworten
Ich bekam in den letzten Wochen sehr oft die Frage nach Perspektiven und Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff. Es gibt zum Thema auf der einen Seite den politischen Willen. Es gibt aber auch die Realität der Möglichichkeiten.
Grüner Wasserstoff – weltweite Nachfrage ohne ausreichende, weltweite Verfügbarkeit
Zunächst die ökologischen Fakten: grüner Wasserstoff wird nur mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt. Er ersetzt in der Anwendung vor allen Dingen den fossilen Brennstoff Erdgas, einen der drei „Klimakiller“ neben Kohle und Erdöl.
Die Perspektiven der Umstellung für viele Bereiche sind ausgezeichnet, wenn man den Faktor Zeit, Kosten und Verfügbarkeit unbeachtet lässt.
Das große Defizit der politischen Parolen in Deutschland, aber auch in ganz Europa, zum grünen Wasserstoff ist die Tatsache einer weltweiten Transformation. Es wird also um einen Wettlauf zwischen Europa, China bzw. den anderen Industriestaaten Asiens, der USA und Kanada, den aufstrebenden Schwellenländern Südamerikas, den Ländern des indischen Subkontinents und auch den Ländern Afrikas gehen, die alle ihre Infrastruktur auf regenerativen Energieträgern aufbauen wollen.
Viele Anwendungen – wenig Produktionskapazität
Stahlwerke, Glashütten und die energieintensive Chemieindustrie weltweit würden aus Klimaschutzgründen gerne lieber heute als morgen auf den sauberen Energieträger umstellen, um Erdgas und Kohle zu ersetzen. Allerdings fehlt ihnen allen sowohl in Teilen technologische Lösungen bei der Umstellung vor Ort, als auch ein Ansatz für einen möglichen Preis in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit. Vor allen Dingen fehlt ihnen die Antwort auf die Frage
Neben der Industrie hoffen Heizkraftwerke, die LKW-Branche, Flugzeuge und Schiffe auf grünen Wasserstoff. Ihre Fragestellungen sind identisch mit denen der industriellen Anwender. .
Auch wir "Privateleute" hoffen auf wasserstoffbetriebene PKWs und Heizungen, die mit H2 anstelle von Erdgas betrieben werden. Unsere Fragen sind die gleichen, wie ich sie oben genannt habe.
Die Zeit läuft uns davon
Wenn die Welt vor 20 Jahren begonnen hätte, grünen Wasserstoff als Ersatz der fossilen Energieträger voranzutreiben, wäre eine Transformation mit positiver Auswirkung auf das Klima denk- und machbar gewesen.
So wurde die Welt erst nach der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg und die galoppierenden Folgen durch den Klimawandel in den letzten zwei Jahren aus dem Tiefschlaf wachgerüttelt.
Nun soll und muss es ganz schnell gehen, zumindest für die ungeduldigen Deutschen, die aufgrund des billigen russischen Gases besonders lange mit der Transformation gewartet haben.
Die Zeit läuft uns davon. Mit einem Transformationszeitraum bis 2050 oder sogar bis 2070 für die breite Einführung von grünem Wasserstoff als Ersatz für fossile Energieträger werden deren CO2-Emissionen nicht entscheidend gemindert. Eine zeitlich dynamische Reduzierung der Folgen des Klimawandels wird damit unwahrscheinlich.
Importe – eine Lösung für Europa
Das räumlich kleine Europa hat entscheidende Nachteile gegenüber allen anderen Kontinenten beziehungsweise Staaten, die durch Ausbau von entsprechenden Produktionskapazitäten bei den erneuerbaren Energien für Lösungen vor Ort sorgen können.
Auch darf nicht vergessen werden, dass grüner Wasserstoff nur ein Teil der Lösung auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft sein kann.
Nach Zahlen der EU betrug der Wasserstoffanteil im Jahr 2022 weniger als 2 Prozent des europäischen Energieverbrauchs. Er wurde in erster Linie zur Herstellung chemischer Produkte wie Kunststoffe und Düngemittel verwendet. 96 Prozent dieser Wasserstoffmenge wurde mit Erdgas produziert – mit erheblichen CO₂-Emissionen.
Warum gibt es bisher so wenig grünen Wasserstoff?
Höhere Kosten, fehlende Infrastruktur und zu wenig erneuerbare Energien sind die Hindernisse auf dem Weg zum grünen Wasserstoff! Dies gilt für Deutschland, aber auch für die gesamte EU!
Dies sind die Hauptgründe, warum grüner Wasserstoff derzeit mehr als doppelt so teuer ist wie Wasserstoff, der aus Erdgas hergestellt wird. Um den Wasserstoffsektor so aufzubauen, dass er 15 bis 20 Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken kann, müssten nach einer Rechnung der internationalen Denkfabrik Energy Transitions Commission bis zum Jahr 2050 15 Billionen Dollar investiert werden.
Die Produktion von grünem Wasserstoff mit möglichem Exportvolumen in die EU soll in Ländern mit reichlich Sonne und Wind erfolgen. Dazu gehören u.a. Indien, die Länder des nahen Ostens und Afrika. Überall in diesen Ländern ist zunächst der Aufbau ausreichender Produktionskapazitäten notwendig, und zwar unabhängig von einem Aufbau der lokalen Stromversorgung hin zu regenerativen Energien in all diesen Ländern.
Der produzierte grüne Wasserstoff muss nach der Produktion weltweit verteilt werden. Transport und Lagerung in großen Mengen gilt als Herausforderung. H2 kann zwar in Pipelines, Lastern oder Frachtschiffen transportiert werden, muss aber in speziellen Druckbehältern gelagert werden.
Um das Gas zu verflüssigen, muss es auf Minus 253 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Es ist auch möglich grünen Wasserstoff in Ammoniak (NH₃), umzuwandeln und zu verschiffen.
Fazit
Dieser Artikel soll ohne Wenn und Aber die Fortsetzung der politischen Entscheidungsfindung für eine Intensivierung des Themas grünen Wasserstoff im Kontext der Energiewende beziehungsweise der Maßnahmen gegen des Klimawandels bestätigen.
Allerdings soll er auch zu einer realistischen zeitlichen und sachlich.-rationalen Einschätzung der Transformation und ihrer Geschwindigkeit für die Perspektive „grüner Wasserstoff“ dienen. Durch den sehr späten Start fehlen uns mindestens zehn, vermutlich aber auch zwanzig Jahre, die Wirtschaft und Politik mit Fokus auf fossile Energieträger verschwendet haben.
Die Internationale Energieagentur (IEA) veröffentlicht jährliche Wasserstoffberichte. Die aktuelle Version finden Sie am Ende dieses Artikels.Ich empfehle auch den zweiten Link, trotz der "industriellen Einfärbung"
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