Überraschung: Was hatte Johann Wolfgang von Goethe mit dem Wetter zu tun? Expertin Kathy Schrey kennt die Antwort.

Gestern feierte Johann Wolfgang von Goethe seinen 275. Geburtstag. In der heutigen Zeit würde zu ihm das Narrativ 'wetterbegeisterte Person' passen. Allerdings war Goethe seiner Zeit weit voraus, und im Vergleich zum damaligen gesellschaftlichen Empfinden hätte manch einer ihn möglicherweise als 'Nerd' bezeichnet.

Briefmarke, Deutschland , Goethe
Postage stamp Germany 2018 Goethe in Campagna, by Tischbein

Goethe war zeitlebens stark von atmosphärischen Phänomenen beeinflusst

Goethe zeigte sich besonders empfänglich für Sinneseindrücke aus seiner Umgebung.
Er war zudem sehr wetterfühlig, was sich in seiner körperlichen und geistigen Verfassung sowie in seiner künstlerischen Arbeit widerspiegelte.

Meteorologe Goethe

Trotz dieser intensiven Beziehung zur Atmosphäre widmete sich Goethe der Meteorologie als Wissenschaft erst systematisch nach seinem 65. Lebensjahr. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seine umfangreichen Forschungen in anderen naturwissenschaftlichen Bereichen wie Geologie, Mineralogie, Botanik, vergleichende Anatomie, Chemie, Farbenlehre und Optik weitgehend abgeschlossen.

Der folgende Text beschreibt Goethes tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Wolkenklassifikation von Luke Howard und seine maßgebliche Rolle bei der Einführung und Anwendung dieses Systems in Deutschland:

Goethe, dessen Naturverständnis stark von empirischen Beobachtungen geprägt war, erkannte früh die bahnbrechende Bedeutung von Howards Arbeit. Diese erstmals systematisch und empirisch fundierte Klassifikation der Wolken bot ihm einen Zugang zur Meteorologie, den er durch rein abstrakte Methoden nie hatte finden können.

Howards Systematik der Wolken basiert auf meteorologischen Gegebenheiten, insbesondere der Abnahme des Luftdrucks und dem vertikalen Temperaturgefälle in der Atmosphäre. Die Temperatur sinkt bis zur unteren Stratosphäre (etwa 10 bis 12 Kilometer Höhe) ab, was zur Bildung von Wolken führt. Wolken bestehen aus kondensiertem Wasserdampf oder Eis, oft als Gemisch. Die Bildung von Wolken erfolgt, wenn die Temperatur den Taupunkt unterschreitet und der Wasserdampf an den Kondensationskernen kondensiert. Howards Einteilung der Wolken in Cirrus-, Cumulus- und Stratus-Wolken basiert auf der Tatsache, dass Wolken bei Temperaturen unter -35 °C aus Eis und bei Temperaturen über -12 °C aus flüssigem Wasser bestehen. Diese Einteilung machte Howard, obwohl er noch kein detailliertes Wissen über die vertikale Struktur der Atmosphäre hatte. Trotz aller Fortschritte in der Wolkenphysik und der detaillierteren Klassifikationen der World Meteorological Organization (WMO) bleibt Howards empirische Betrachtung grundlegend. Auch heute wird die Vielfalt der Wolken oft nur beschreibend erfasst, und es kommt vor, dass ungewöhnliche Wolkenformen schwer in die bestehenden Klassifikationssysteme passen.
Cumulus, Wolken, Formation
Eine auftürmende Cumulus Wolken Formation

Goethes Begeisterung für Howards System war so groß, dass er sich intensiv darum bemühte, Zugang zu den Originalwerken Howards zu erhalten, um sie in ihrer Gänze zu verstehen und in seinem eigenen Werk zu integrieren.

Wann genau Goethe dieser Wunsch erfüllt wurde, bleibt unklar. Doch fest steht, dass er bereits im Dezember 1817 eine Beobachtungsanleitung für Meteorologen im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach erstellte, die in einer erweiterten Fassung im Jahr 1821 veröffentlicht wurde.

Diese Instruktion enthält eine detaillierte Beschreibung der Wolkenformen nach Howard, wobei Goethe die Terminologie leicht modifizierte. Die Wolken sollten bei täglichen Wetterbeobachtungen in der Reihenfolge Stratus, Strato-cumulus, Cumulus, Cirro-cumulus, Cirrus, Strato-cirrus und Nimbus erfasst werden.

Goethe, Illustration, Modern
Der junge Goethe als moderne Illustration.

Goethe initiiert erstes Wetterdaten-Erfassungs-System und 'stalked' (neudeutscher Begriff in ironischem Gebrauch) Luke Howard

Unter Goethes Aufsicht entstand ein Netz von neun meteorologischen Beobachtungsstationen, das zwischen 1821 und 1831 in Betrieb war und möglicherweise zu den ersten weltweit gehörte, das regelmäßig Wolkenbeobachtungen nach Howards Klassifikation durchführte.

Goethes Interesse an Howard ging jedoch über die bloße Anwendung seiner Klassifikation hinaus:

In einem Brief vom 25. September bat er seinen Freund Hüttner um Informationen über Howards persönliche Verhältnisse, was Goethes Überzeugung entsprach, dass die Geschichte der Wissenschaft untrennbar mit den Biografien der Wissenschaftler verknüpft sei.

Dank Hüttners Bemühungen, die offenbar nicht einfach waren, erhielt Goethe im Februar 1822 von Howard einen autobiografischen Abriss sowie die beiden Bände von 'Climate of London' (1818, 1820), die Howard die Mitgliedschaft in der Royal Society eingebracht hatten.

Goethe informierte die Leser seiner Publikation 'Zur Morphologie' (Band 1, Heft 4) über den Erhalt des biografischen Textes und veröffentlichte diesen 1823 in deutscher Übersetzung in 'Zur Naturwissenschaft überhaupt' (Band 2, Heft 1).

In demselben Heft erschien auch eine von Goethe angeregte Rezension von 'Climate of London', verfasst von J. F. Posselt, dem Direktor der Sternwarte in Jena.

Goethe bedankte sich mehrfach bei Hüttner für dessen Bemühungen und ließ Grüße und Dank an Howard übermitteln. Obwohl er die Absicht äußerte, Howard selbst zu schreiben oder auf andere Weise zu dessen Zufriedenheit beizutragen, findet sich in den veröffentlichten Briefen kein direkter Schriftverkehr zwischen den beiden, auch wenn zahlreiche Hinweise auf Howard darin enthalten sind.

Goethes zentrales Anliegen war es, Naturphänomene in einer Abfolge von Entwicklungen zu betrachten und die Übergänge genau zu beobachten:

In diesem Sinne beschreibt sein Gedicht *Howards Ehrengedächtnis* eine Metamorphose der Wolken, vom Aufsteigen des Wassers in der Atmosphäre bis hin zum Regen.

Diese Darstellung spiegelt Goethes philosophische Konzepte der Steigerung und Polarität wider, die er als die zentralen Antriebskräfte der Natur betrachtete.

Besonders bedeutsam war dabei Goethes Einführung des Begriffs "Stratocumulus" in die Wolkenklassifikation, der einen wesentlichen Fortschritt gegenüber Howards ursprünglicher Interpretation darstellte.

Howard hatte den "Cumulo-stratus" als eine Mischung aus Cirro-stratus und Cumulus beschrieben, was teils der heutigen Bezeichnung Cumulonimbus entspricht.

Goethe jedoch führte nicht nur den Begriff "Stratocumulus" ein, sondern beschrieb diese häufig vorkommende Wolkenart in ihrer heutigen Form und ließ sie in einem Kupferstich darstellen.

Insgesamt erkannte Goethe die bahnbrechende Bedeutung von Howards Arbeit zutreffend an und widmete ihm zu Ehren das Gedicht *Howards Ehrengedächtnis* (1821), in dem er Howard dafür lobt, das Flüchtige und schwer Fassbare der Wolken zu ordnen und treffend zu benennen. Damit zollte Goethe dem Wissenschaftler, dessen Arbeit er als wesentlichen Beitrag zur Naturkunde ansah, höchsten Respekt.

Auszug aus Goethes Gedicht Howards Ehrengedächtnis

Stratus

Wenn von dem stillen Wasserspiegel-Plan

Ein Nebel hebt den flachen Teppich an,

Der Mond, dem Wallen des Erscheins vereint,

Als ein Gespenst Gespenster bildend scheint

Dann sind wir alle, das gestehn wir nur,

Erquickt', erfreute Kinder, o Natur!

Dann hebt sich's wohl am Berge, sammlend breit

An Streife Streifen, so umdüstert's weit

Die Mittelhöhe, beidem gleich geneigt,

Ob's fallend wässert, oder luftig steigt.


Cumulus

Und wenn darauf zu höhrer Atmosphäre

Der tüchtige Gehalt berufen wäre

Steht Wolke hoch, zum herrlichsten geballt,

Verkündet, festgebildet, Machtgewalt,

Und was ihr fürchtet und wohl auch erlebt

Wie's oben drohet, so es unten bebt.


Cirrus

Doch immer höher steigt der edle Drang!

Erlösung ist ein himmlisch leichter Zwang.

Ein Aufgehäuftes, flockig löst sich's auf,

Wie Schäflein tripplend, leichtgekämmt zu Hauf.

So fließt zuletzt was unten leicht entstand

Dem Vater oben still in Schoß und Hand.

Nimbus

Nun laßt auch niederwärts, durch Erdgewalt

Herabgezogen was sich hoch geballt,

In Donnerwettern wütend sich ergehn,

Heerscharen gleich entrollen und verwehn!-

Der Erde tätig-leidendes Geschick!-

Doch mit dem Bilde hebet euren Blick:

Die Rede geht herab, denn sie beschreibt,

Der Geist will aufwärts, wo er ewig bleibt.