Hättet Ihr das gedacht? Dieses G7-Land hat sich als erster komplett von der Kohle losgesagt
Großbritannien hat sich von der Mutter aller fossilen Energieträger, der Kohle, verabschiedet. Am 1. Oktober hatte das 1968 in Betrieb gesetzte Kohlekraftwerk in Ratcliffe-on-Soar als letzter Kohlemeiler ausgeraucht.
Vom Abgesang der CO₂-Schleuder Kohle
Nachdem sich am letzten September-Tag die Rauchschwaden über Ratcliffe-on-Soar verzogen hatten, entstand mehr als nur ein rauch- und rußfreier Himmel. In der englischen Ortschaft südwestlich von Nottingham ging das letzte Kohlekraftwerk Großbritanniens vom Netz.
Damit begann Anfang Oktober im Vereinigten Königreich eine neue Ära, und zwar eine ohne den fossilen Energieträger, der für den Aufstieg des Landes verantwortlich war: die Kohle.
Erstes kohlefreies G7-Land
Großbritannien darf sich nun damit schmücken, das erste G7-Land zu sein, das sich endgültig vom schmutzigsten fossilen Energieträger verabschiedet hat. Die Bedeutung des Abschiedsmoments hatte große, historische Bedeutung. Kohle bildete seit dem Beginn der Industrialisierung das Rückgrat der britischen Wirtschaft: Kohle trieb die Züge an, befeuerte die Stahlindustrie, erzeugte Strom.
Das weltweit erste Kohlekraftwerk zur Stromversorgung eröffnete 1882 in London. Analysten des Klimaportals Carbon Brief rechneten aus, dass die britischen Kohlekraftwerke seither insgesamt 4,6 Milliarden Tonnen Kohle verbrannt haben. Damit stießen sie rund 10,4 Milliarden Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases CO₂ aus.
Die „duale“ Wirkung der Kohle
Die britische Kohle war aber nicht nur an der Erderwärmung beteiligt, sondern sorgte im Jahr 1952 für eine der fatalsten Katastrophen durch Luftverschmutzung in der Nachkriegsgeschichte des Landes. Aufgrund der intensiven Verbrennung von Kohle in Kombination mit einer sogenannten Inversionswetterlage versank die Hauptstadt London im Dezember 1952 nahezu vollständig im Kohlestaub, dem Smog. Innerhalb von nur fünf Tagen starben durch die Luftverschmutzung 4000 Menschen. 8000 weitere starben laut Schätzungen in den kommenden Monaten an den Folgen des Dezember-Smogs von 1952.
Die britische Politik beschloss als direkte Maßnahme auf die Katastrophen im Jahre 1956 den Clean Air Act, also das Gesetz für saubere Luft. Dieses Gesetz gilt als Meilenstein im Umweltschutz. Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen verboten die Politiker unter anderem den Ausstoß von Ruß in belasteten Gebieten und zwangen die Bewohner Londons dazu, Heizungen auf rauchfreie Brennstoffe umzustellen. Danke der hohen Transparenz des britischen Informationssystems konnte ich dieses Gesetz am Ende dieses Artikels verlinken.
2024: Rekordbudget für Windkraft
Nach dem Beschluss des Clean Air Act und dessen Umsetzung ging es mit der Verwendung von Kohle als Energieträger stetig bergab. Stattdessen traten Öl, Gas und die Atomenergie ab den 60er Jahren ihren Siegeszug bei der Energiepolitik des Landes an.
In den vergangenen Jahren zählte Großbritannien zu den Ländern in Europa, die den Anteil an Erneuerbaren rasant erhöht haben. Auch die aktuelle Regierung unterstützt die Energiewende. So hatte erst Ende Juli die neue britische Regierung unter dem sozialdemokratischen Regierungschef Keir Starmer ein Rekordbudget für den Ausbau der Erneuerbaren beschlossen.
Mit 1,5 Milliarden Pfund (1,8 Milliarden Euro) unterstützt die Regierung dir Branche der erneuerbaren Energien allein noch in diesem Jahr. Dieser Betrag ist um rund 50 Prozent höher, als ihn die Vorgängerregierung budgetiert hatte.
Das meiste Geld wird dabei in den Ausbau der Windenergie fließen. „Die Kohle-Ära mag zwar enden, aber ein neues Zeitalter guter Arbeitsplätze im Energiesektor beginnt jetzt erst für unser Land“, versprach Energiestaatssekretär Michael Shanks von der Labour-Partei.
Die Analysten von Carbon Brief haben neben dem massiven Ausbau der Erneuerbaren drei weitere Gründe ausgemacht, die den schnellen Kohleausstieg ermöglicht haben. Als Erstes stoppte die Politik konsequent den Bau neuer Kohlekraftwerke. Zusätzlich erfolgte eine hohe Bepreisung der Verschmutzung durch Kohlekraftwerke, in erster Linie durch eine CO₂-Steuer.
Der wichtigste Grund liegt aber darin, dass die Politik einen klaren Zeitplan für den Ausstieg formuliert hatte. Dadurch konnte sich die Energiebranche auf den Kohleausstieg einstellen.
Großbritannien ist die erste Industriemacht, die sich von der Kohle verabschiedet hat. Weitere Länder werden in den kommenden Jahren folgen. Erst im April 2024 hatten die Energieminister der G7-Staaten in Turin vereinbart, die Kohleverstromung bis 2035 auslaufen zu lassen.
Deutschland: Wirtschaftsfaktor Kohle
Deutschland ist der größte Braunkohleproduzent der EU. Rund 102 Millionen Tonnen und damit 46 Prozent der gesamten EU-Produktion von 224 Millionen Tonnen wurden 2023 hierzulande abgebaut.
Unser Land tut sich schwerer als Großbritannien mit dem Kohleausstieg. Das Kohleausstiegsgesetz aus dem Jahr 2020 regelt deutschlandweit das Ende der Kohleverstromung. Bis spätestens im Jahr 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland stillgelegt werden.
Der Bund hat Förderprogramme aufgelegt, um den Strukturwandel in den Kohleregionen zu unterstützen. Damit sollen dort genügend sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen.
Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Deutschland den britischen Weg der drei genannten Ziele eingeschlagen hätte. Die Entscheidungen dazu wurden in den vergangenen 20-25 Jahre nicht getroffen, so dass uns die Treibhausgas-Emissionsquelle Kohle auch in den nächsten 10+ Jahren erhalten bleibt.
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