Der Strommarkt von 2015 bis heute – Teil 1: die EU. Welche Rolle spielen die regenerativen Energien?

Mein Artikel über den Status des Strommarktes in China hat mich veranlasst, mich intensiv mit dem europäischen Sektor der Stromerzeugung zu beschäftigen. Im zweiten Teil meiner Analyse wird der Fokus mit vielen Daten und Fakten auf dem Strommarkt Deutschlands liegen.

Regenerative Energien werden den europäischen Strommarkt bis 2030 dominieren

Recherche über Produktion und Verbrauch von Strom in der EU seit 2015

Im Gegensatz zu China muss man sich bei den Recherchen nicht auf Zeitungsberichte von staatlichen Medien verlassen, sondern hat verschiedenes Datenmaterial von Energieagenturen zur Verfügung. So entstehen Vergleichsmöglichkeiten - und am Ende ein schlüssiges Bild.

Für die europäische Union habe ich vier Berichte aus den Zeiträumen 2015, 2019 und 2023 ausgewertet. Es war wichtig, einen längeren Zeitraum zu betrachten und mögliche Einflüsse aus der Pandemiezeit sowie der Energiekrise als Folge des Ukraine-Krieges auszublenden.

2015: Nettostromproduktion und Verbrauch

Im Jahr 2015 lag die Netto-Stromproduktion in der EU bei 3278 Terrawattstunden (TWh). Eine TWh entspricht einer Milliarde Kilowattstunden (kWh).

Dies entsprach einer Steigerung von 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, was durch die Installation von Wärmepumpen und die Umstellung auf Elektromobilität begründet wurde.

Von der Gesamtmenge entfielen 963 TWh, oder 29 Prozent, auf regenerative Energien, d.h., Solar-, Wind- und Wasserenergie sowie Strom aus Biomasse.

Die Stromgewinnung aus Kernkraft lag im Jahr 2015 bei 857 TWh und damit bei 26 Prozent der europäischen Nettostrom-Produktion.

Die restlichen 1458 TWh, verteilten sich auf Strom aus fossilen Brennstoffen, d.h. Steinkohle, Braunkohle, Gas und andere fossile Energieträger. Dies ergab für die Fossilen einen Anteil von 45 Prozent am EU-Strommix.

2019: Trendwende beim Stromverbrauch

Der Marktbericht 2019 zeigte eine Abnahme des Strombedarfs in der EU - entgegen vieler Prognosen, die seinerzeit noch von einem steigenden Bedarf ausgingen.

Die Netto-Stromproduktion des Jahres 2019 lag mit 3238 TWh unterhalb des Wertes von 2015.

Die Energiewende hatte deutlich an Dynamik gewonnen, denn 1115 TWh oder 34,6 Prozent dieser Gesamtmenge entfielen bereits auf regenerative Energien. Vor allen Dingen die Solar- und Windenergie waren auf dem Vormarsch. Die Hydroenergie nahm im Vergleich zu 2015 durch beginnende Trockenperioden ab. Die Stromerzeugung aus Biomasse stieg leicht an.

Der Anteil der Kernenergie ging im Jahr 2019 auf 821 TWh zurück und lag damit bei 25,5 Prozent an der gesamten Netto-Stromproduktion der EU.

Einen enormen Rückgang am Mix der Stromerzeugung ergab sich bei den fossilen Brennstoffen. Mit 1169 TWh schrumpfte ihr Anteil auf 36,3 Prozent. Der Anteil von Erdgas bei den Fossilen nahm seinerzeit zu, was an billigen Importpreisen von russischem Gas und einer besseren CO2-Bilanz gegenüber der Kohleverstromung lag.

2023: Das Jahr nach der Energiekrise und dem Beginn des Ukraine-Krieges

Die Pandemiejahre 2020 und 2021 hatten durch ihre Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Welt auch in der EU zu einem sehr deutlichen Rückgang beim Stromverbrauch und der Netto-Stromproduktion geführt.

Das Jahr 2022 begann mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine – und einer weltweiten Energiekrise durch das Ende von billigen Gaslieferungen aus russischen Erdgasleitungen in große Teile der EU. Die Ereignisse dieser Jahre führten dazu, dass der EU-Stromverbrauch des Jahres 2023 bei 2696 TWh und damit 16,3 Prozent unter der Verbrauchszahl des Jahres 2019 lag.

Der Anteil der Regenerativen lag mit 1186 TWh im Jahr 2023 bereits bei 44 Prozent an der gesamten Netto-Stromproduktion. Solar- und Windenergie waren die Haupttreiber der Energiewende mit einem starken Aufwärtstrend. Der Anteil der Regenerativen in der EU war bereits im Jahr 2023 höher als der am 5.9. von China genannte regenerative Anteil von 40% am chinesischen Strommix.

Die Bedeutung der Kernenergie als eine der Säulen der Stromproduktion in der EU war unverändert. Zwar fiel im Jahr 2023 die produzierte Strommenge im Vergleich zu 2019 deutlich und betrug nur noch 619 TWh oder 23 Prozent. Die Spitze der Produktion von Atomstrom wurde im Jahr 2004 mit 928 TWh erreicht. Ihr Anteil lag seinerzeit bei 33 Prozent an der Netto-Stromproduktion der EU.

Die großen „Verlierer“ der Stromproduktion im Jahr 2023 waren die fossilen Energieträger. Ihr Anteil an der Stromproduktion lag im Jahr 2023 bei nur 33 Prozent oder 891 TWh. Sowohl Kohle als auch Gas nahmen um 12 bzw. 15 Prozent ab. Die EU zeichnet sich damit weiterhin - im Gegensatz zu den Presseberichten aus China – als Gewinner der Energiewende aus. Die Bedeutung der Fossilen blieb einem Drittel am produzierten Strom aber weiterhin hoch.

Und die Zukunft?

Die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen zur Stromerzeugung ging seit dem Jahr 2000 kontinuierlich zurück. Damals stammten noch 52 Prozent des EU-Stroms aus Kohle, Gas und anderen fossilen Quellen.

Die Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie hat sich zwischen den Jahren 2009 und 2023 verfünffacht. Ihr gemeinsamer Anteil am Strommix der EU stieg im gleichen Zeitraum von 5 Prozent auf über 27 Prozent. Wasserkraftwerke hatten 2023 einen Anteil von 12 Prozent an der Stromproduktion. Der Anteil der Biomasse lag bei 5 Prozent.

Der Stromverbrauch wird in der EU bis zum Jahr 2030 wieder sehr deutlich ansteigen. Die Gründe dafür sind Nachfrage der Industrie, des Heizungs- und Klimasektors und der Mobilität. Schätzungen gehen davon aus, dass die Netto-Stromproduktion im Jahr 2030 bei 3700 TWh liegen sollte, um die Nachfrage zu decken.

Der REPower-EU-Plan sieht vor, dass bis 2030 über 70 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien stammen sollen. Haupttreiber werden Wind- und Solarenergie sein, deren Anteil sich bis 2030 auf 55 Prozent verdoppeln soll.

Über die Rolle von Energie aus Kernkraft gibt es divergierende Meinungen. Es ist insgesamt davon auszugehen, dass Atomstrom trotz ungelöster Endlagerungsfragen, ernstzunehmender Sicherheitsbedenken durch militärische oder terroristische Angriffe und bestehender Abhängigkeit von wenigen Rohstoffmärkten im europäischen Energiemix weiterhin eine beachtliche Rolle spielen wird. Nach Meinung von europäischen Energieagenturen wird dies im Bereich von 20-22 Prozent am erzeugten Strom der Bedarfsprognose des Jahres 2030 liegen.

Die Energie-Agenda der EU zeigt, dass fossile Brennstoffe lediglich als Brückentechnologien dienen. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2035 ist Beschlusslage in vielen EU-Ländern. Kraftwerke, die Strom aus Erdgas erzeugen, werden zur Stabilität der Stromversorgung auch bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts eine Rolle spielen.

Der Fokus des REPower-EU-Plans liegt bei einem deutlichen Ausbau der regenerativen Stromerzeugung, den Stromnetzen und der Schaffung von Speichermöglichkeiten von regenerativ erzeugtem Strom.

Als Zusatzlektüre zu diesem Artikel empfehle ich das Pamphlet „European Electricity Review 2024“ mit vielen aktuellen Grafiken und Tabellen.

Quellenhinweise:

REPower-EU-Plan

European-Electricity-Review-2024