Der deutsche Strommarkt im ersten Halbjahr 2023
Im ersten Halbjahr 2023 wurden in Deutschland 233,9 Terrawattstunden (TWh) Strom erzeugt und ins Stromnetz eingespeist. Das waren 11,4 % weniger als im 1. Halbjahr 2022.
Das Statistische Bundesamt (Destatis) hat am 6. September 2023 die vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht. Wenn man den Bericht und seine einzelnen Elemente betrachtet, wird jede und jeder darin Aussagen finden, die ihr oder ihm die jeweilige politische oder persönliche Einstellung zu Energiefragen bestätigt. Gibt es eine gemeinsame Linie, hinter der sich die gesamte Gesellschaft treffen kann?
Der Bericht basiert auf dem Nettostromverbrauch, d.h. der Eigenbedarf der Erzeugungsanlagen und die Umwandlungs-, Übertragungs- und
Netzverluste sind bereits abgezogen. Eine TWh entspricht einer Milliarde
Kilowattstunden (kWh).
Für jeden ist etwas dabei
Die Kritiker des Atomausstiegs lesen im Bericht, dass im Strommix des Jahres 2022 ca. 6% auf die Kernenergie entfielen. Bis zum 30. Juni waren es durch die Abschaltung der restlichen AKWs lediglich 2,9%. Gleichzeitig haben sich die Importe erhöht. War der Ausstieg also falsch bzw. sollte nicht einen Wiedereinstieg in die Kernkraft erfolgen? Meine Antwort darauf finden Sie in meinem Fazit am Ende dieses Artikels.
Auch die Verfechter der Notwendigkeit fossiler Brennstoffe, also Kohle und Erdgas, können sich im Bericht bestätigt sehen. Im ersten Halbjahr 2022 entfielen 31,3% auf Kohleverstromung und 11,9% auf Erdgas. Bis zum 30.Juni dieses Jahres sank der Anteil von Kohlestrom auf 27,1%. Der Erdgasanteil stieg dagegen auf 13,9% an. Die naheliegende Schlussfolgerung könnte also lauten: Kohle und Erdgas sind und bleiben bei unserem Strommix unverzichtbar. Auch zu dieser These finden Sie meine Meinung am Ende des Artikels.
Die Anhänger der erneuerbaren Energien finden in dem Bericht viele vermeintliche Gründe für Jubelstürme. Im ersten Halbjahr 2022 wurden 51,6% des Stroms mit konventionellen Energieträgern erzeugt, folglich 48,6% mit erneuerbaren Energien. Im ersten Halbjahr 2023 hat sich der Wind buchstäblich gedreht, denn bis zum 30.6.2023 entfielen nur noch 46,6% auf konventionelle Energieträger. Dagegen trugen die Erneuerbaren mit 53,4% zum Strommix bei. Sind die positiven Einschätzungen also tatsächlich fundiert und berechtigt? Auch zu dieser Frage nehme ich am Ende des Artikels Stellung. Betrachten wir aber vorher einige notwendigen Hintergründe.
Stromimport und Stromexport und Entwicklung der verfügbaren Strommenge
Die Stromimporte stiegen um 30,8 %, während die Exporte um 18,1 % sanken. Dennoch überstiegen die deutschen Stromexporte mit 32,6 TWh auch im 1. Halbjahr 2023 die Stromimporte von 30,6 TWh. Die meisten Stromimporte kamen im 1. Halbjahr 2023 mit 4,7 TWh aus den Niederlanden. Aus Frankreich wurden 4,4 TWh an Strom importiert. Zu beachten ist, dass die Stromimporte aus Frankreich im 1. Halbjahr 2022 nach Problemen in den dortigen Kernkraftwerken deutlich zurückgegangen waren.
Der Rückgang der insgesamt verfügbaren Strommenge waren Einsparbemühungen wegen hoher Energiepreise und die konjunkturelle Abschwächung, insbesondere in den energieintensiven Industriezweigen. Der Wegfall der Kernenergie wurde vor allem durch höhere Stromimporte ausgeglichen.
Der Kern liegt nicht in Prozentzahlen, sondern in absoluten Zahlen!
Die gesamte Netzeinspeisung des ersten Halbjahres 2022 lag bei 263,8 TWh. Bis 30.6.2023 wurden 29,9 TWh weniger eingespeist. Dieser Rückgang entfiel fast vollständig auf die konventionellen Energieträger mit - 27,1 TWh. Die Kohleverstromung reduzierte sich um 19,2 TWh und die Kernenergie durch die Abschaltung zum 1. April um 9,2 TWh. Lediglich der Erdgasanteil stieg um 1,2 TWh.
Die Netzeinspeisung der erneuerbaren Energieträger sank bis zum 30.6.23 im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls, und zwar um 2,8 TWh. Allerdings fließt ein nicht unerheblicher Anteil deren Stromerzeugung in den Stromexport.
Windenergie war die mit Abstand wichtigste erneuerbare Energiequelle und produzierte in der ersten Jahreshälfte 2023 ca. 67 TWh. Sie lag damit leicht unter dem ersten Halbjahr 2022 mit seinerzeit 68 TWh. Der Februar 2023 war ein sehr schwacher Windmonat und hat das Gesamtergebnis beeinflusst.
Photovoltaikanlagen speisten im ersten Halbjahr ca. 30 TWh in das öffentliche Netz ein, ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr mit damals 31 TWh. Schuld daran war ein sonnenschwacher März 2023. Solarstromanlagen hatten einen Anteil von 12,5 Prozent an der öffentlichen Nettostromerzeugung.
Die Wasserkraft produzierte im ersten Halbjahr 9,3 TWh an Strom und lag damit über dem Vorjahr mit 8,2 TWh. Die Stromerzeugung aus Biomasse ist mit 21 TWh auf dem Niveau des Vorjahres.
Der Zubau an Photovoltaik-Leistung liegt aktuell im Zielkorridor der deutschen Klimaschutzziele. Der Windausbau liegt dagegen nicht auf Kurs. Die Zubau-Ziele wurden sowohl an Land, wie auch auf See deutlich verfehlt.
Mein Fazit
Das Ende der Kernkraft ist seit 2011 Beschlußlage. Die Abhängigkeit von Uranimporten, die ungelöste Endlagerfrage und Havarie-Gefahren, auch und gerade durch Terror- oder Kriegsereignisse sprechen meines Erachtens deutlich gegen eine Stromproduktion aus Kernspaltung. Ob Kernfusion eines Tages eine Rolle bei der Stromerzeugung spielen kann, werden die kommenden 5 bis 7 Jahre zeigen.
Kohle und Gas begleiten unsere Stromproduktion noch in den nächsten 7-10 Jahren. Der Zubau regenerativer Energien kann die notwendige Menge und vor allen Dingen die Versorgungssicherheit bei Wind- oder Dunkelflauten in den kommenden Jahren nicht gewährleisten. Dieser Tatsache müssen wir akzeptieren. Hinzu kommt, dass es unser Land versäumt hat, für ausreichende Speichermöglichkeiten bzw. für die netzbedingten Durchleitungskapazitäten zu sorgen. Beides ist eine Voraussetzung für eine stabilere Versorgung durch Wind- und Sonnenstrom.
Grüner Wasserstoff ist ein Hoffnungsträger, auf den Politik, Wirtschaft und Gesellschaft setzen. Er kann und soll Erdgas und Kohle ersetzen. Allerdings ist die Welt noch mehrere Jahre von einer Bereitstellung von grünem Wasserstoff entfernt. Eine mögliche Produktion allein in Deutschland durch Wind- oder Sonnenenergie ist nicht realistisch. Unsere Importabhängigkeit wird uns folglich auch beim Thema grüner Wasserstoff erhalten bleiben, wenngleich eine regionale Verschiebung stattfindet.
Und die regenerativen Energien Wind und Sonne? Derzeit lautet mein Fazit: Große Chancen, aber zu kleine Schritte. Der Ausbau von Windenergie an Land und auf dem Meer scheitert an Bürokratie und den nicht vorhandenen Durchleitungskapazitäten der Stromnetze.
Photovoltaik hat viel Potential, aber auch dort trifft der Wunsch sehr oft auf die Wirklichkeit. Kleine, private PV-Anlagen hängen vom privaten Geldbeutel bzw. von Subventionen ab, größere Anlagen wieder von der Bürokratie und ihrer Regularien.
Sicher ist, dass der Klimawandel unvermindert voranschreitet und ein Ende fossiler Brennstoffe nicht nur unausweichlich, sondern auch dringlich ist. Diese Dringlichkeit wurde in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nicht gebührend beachtet.
Sicher ist auch, dass uns die Diskussionen der unterschiedlichen Lager der einzelnen Energieträger auch in den kommenden Jahren begleiten werden. Die Diskussion sollte den sachlich gegebenen Fakten Rechnung tragen - und nicht die Emotion der jeweiligen persönlichen Meinung widerspiegeln. Wir alle dürfen gespannt auf die kommenden Stromberichte sein.