Ansätze zur Entschlüsselung der außergewöhnlichen Meereserwärmung
Die weltweite Wissenschaft betrachtet mit Sorge die außergewöhnlich starke Erwärmung der Ozeane. Schon seit einiger Zeit steht auch die Reduzierung fossiler Luftverunreinigungen im Fokus der Untersuchungen.
Bereits zum Ende des Jahres 2013 traf die erste von mehreren Hitzewellen den Nordpazifik in der Nähe von Alaska. Die Temperaturen in diesen warmen Zonen, die Klimawissenschaftler als »Blobs«, also »Klumpen« bezeichen traten im letzten Jahrzehnt viermal auf. Sie liegen manchmal mehr als 2°C über dem Normalwert.
Folgen der Meereserwärmung
In vielen Küsten haben sie giftige Algenblüten ausgelöst. Unzählige Buckelwale gelten als vermisst. Sie sorgten dafür, dass die Netze der Kabeljaufischer in Alaska leer blieben und die Strände Nordamerikas mit den Überresten verhungerter Seevögel übersät waren.
Neue Studie: saubere Luft verstärkt die Erwärmung im Pazifik
Die Forschung hatte bisher nur den Klimawandel als Hauptursache für die steigenden Wassertemperaturen betrachtet. Der Albedo-Effekt galt als zusätzlicher Verstärker natürlicher Schwankungen der Meerestemperatur. Nun weisen Wissenschaftler in einer neuen, aktuellen Untersuchung auf einen weiteren überraschenden Faktor hin: Chinas Erfolg bei der Eindämmung der Luftverschmutzung.
Ein starker Rückgang der Aerosole – winziger luftgetragener Partikel wie Sulfate –, die in den 2010er Jahren von chinesischen Fabriken und Kraftwerken ausgestoßen wurden, scheint eine Reihe extremer Hitzewellen auf der anderen Seite des Pazifiks verstärkt zu haben. Die Forscher schätzen, dass bis zu 30 % des Temperaturanstiegs auf diesen Effekt zurückgeführt werden könnten.
Die Wissenschaftler haben ihre Ergebnisse am 6. Mai in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht. Einer der Autoren, der chinesische Forscher Hai Wang, sagte dazu »Wir waren uns der Rolle des Aerosolantriebs bei der Modulation des Klimawandels durchaus bewusst. Aber wir hatten nicht erwartet, dass die Erwärmung so stark zunehmen würde.« An der Forschung war unter anderem die Ocean University of China mit speziellen Programmen zu Klimamodellierung beteiligt, an der Wang arbeitet und forscht.
Die Veröffentlichung verdeutliche schon deutlich bekannte Phänomene, sagt Dillon Amaya, ein Experte für Klimamodellierung bei der National Oceanic and Atmospheric Administration, der die Klimaauswirkungen in den USA untersucht.
Die Rolle von Aerosolen in der Atmosphäre
Atmosphärische Aerosole sind eine Suspension aus festen oder flüssigen Partikeln in einem Gas. Die Partikel schweben in der Atmosphäre. Menschengemachte Quellen beinhalten Partikel aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas, Emissionen aus der Industrie, Landwirtschaft und Emissionen des Straßenverkehrs. Sie können wie winzige Spiegel wirken, indem sie Sonnenlicht zurück in den Weltraum reflektieren und damit die Menge reduzieren, die die Erdoberfläche erreicht.
Reduziert sich ihr Anteil, trägt dies zu einer Beschleunigung der Erwärmung bei. Wissenschaftler schätzen, dass sauber werdende Luft für bis zu 40 % des Temperaturanstiegs verantwortlich sein könnte, der die globale Erwärmung zwischen 2001 und 2019 antreibt.
Erklärungen für die beschleunigten ozeanische Erwärmung
Wang und seine Mitarbeiter fragten sich, ob ein Rückgang der Aerosolverschmutzung einen geografisch spezifischeren Erwärmungseffekt erklären könnte, der sich auf die pazifischen Hitzewellen bezieht. Diese traten verstärkt in einem Teil des Ozeans auf, der zuvor nur wenig auf steigende globale Temperaturen reagierte. Sie fielen mit einem härteren Vorgehen Chinas gegen die dortige Umweltverschmutzung zusammen. Durch die Umsetzung der Maßnahmen reduzierten sich zwischen 2006 und 2017 die Emissionen von Schwefeldioxid um bis zu 70 %. Damit kamen entsprechend weniger Sulfatpartikel als Aerosole in der Atmosphäre an.
Um herauszufinden, ob die beiden Entwicklungen miteinander verbunden sein könnten, griffen die Forscher auf ein Dutzend Computermodelle zurück. Damit simulierten sie, wie die Atmosphäre und der Ozean interagieren, um das globale Klima zu formen. Das Verfahren lief als eng koordinierter Vergleich ab, der als Coupled Model Intercomparison Project (CMIP) bekannt ist.
Die an Stufe 5 des CMIP-Verfahrens beteiligten Modelle gingen davon aus, dass die Aerosolverschmutzung über Ostasien abflachen, aber nicht sinken würde. Die jetzt verwendete Stufe 6 des CMIP-Modells bilden den aktuellen Rückgang der Aerosolverschmutzung besser ab. Als die Forscher die Modellierung durchführten, um das Klima bis zum Jahr 2020 nachzubilden, bewegten sich beide Verläufe bis 2007 parallel. Danach, also mit Beginn der Schwefeldioxid-Reduzierung in China, trennten sie sich. Die CMIP6-Modelle zeichneten eine starke Erwärmung im Nordostpazifik nach, dem Epizentrum der Hitzewellen.
Wang erklärte die Entwicklung an einem Beispiel: »Wie ein ins Wasser geworfener Stein Wellen über einen Teich schicken kann, können sich auch Temperaturänderungen in einer begrenzten Region auf die Atmosphäre auswirken.«
Die Computersimulationen zeigten eine Kettenreaktion, bei der die sinkende Luftverschmutzung in China die Erwärmung nahe der Küste Asiens beschleunigte. Dies führte zu einem erhöhten Hochdrucksystem am westlichen Rand des Pazifiks, wodurch wiederum ein benachbartes Tiefdruckgebiet mitten im Pazifik verstärkt wurde. Auch ein riesiges Tiefdruckgebiet vor der Küste Alaskas, bekannt als Aleutian Low, reagierte mit einer enromen Ausdehnung nach Süden. Dies schwächte die Westwinde ab, die die Meeresoberfläche abkühlten. Damit waren alle Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Hitzewelle gegeben.
Diese Muster dürften laut Wang aber nicht als Ursache der Hitzewellen gelten, denn dafür seien nach Ansicht der Forscher natürliche Wetterschwankungen ursächlich. Sie hätten aber die Intensität der Hitzewellen verstärkt.
Colorado State University bestätigt solide Annahmen
Die Studie decke zwar nur einen relativ kurzen Zeitraum und eine kleine Anzahl von Hitzewellen in einem komplexen, dynamischen Ozean ab, sagte Maria Rugenstein, eine Wissenschaftlerin der Colorado State University. Ihre Universität untersucht speziell die Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre und dem tropischen Pazifik. »Statistisch gesehen ist die Studie von der Anzahl der Ereignisse her nicht sehr umfangreich. Aber ihre physikalischen Argumente sind sehr solide.«
Fazit
Die chinesische Studie weist auf Mechanismen der Verstärkung bestimmter lokaler oder übergreifender Hitze- bzw. Erwärmungsereignisse. Sie beleuchtet nicht die generellen Klimafolgen der Erderwärmung durch die weiterhin nahezu unverändert in die Atmosphäre emittierten Treibhausgase. Nur deren rasche Reduzierung kann zu einer beginnenden Umkehr der Erderwärmung führen. Darin besteht auch bei den Autoren und Analysten dieser Studie Einigkeit.