Atomausstieg: Nach einem Jahr ohne Kernkraft zieht Deutschland Bilanz

Ein Jahr nach dem deutschen Atomausstieg sind sowohl die fossilen Energieträger als auch die Gesamtstromlast weiter zurückgegangen. Die erneuerbaren Energien wurden weiter ausgebaut, der Verbraucherpreis fiel wieder auf den Wert von 2021.

Atomkraftwerk
Am 15. April 2023 wurden die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz genommen. Bild: Pixabay

Mit Abschaltung der Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim und Isar gingen am 15. April 2023 in Deutschland die letzten drei Kernkraftwerke vom Netz. Hier nun die Erkenntnisse aus dem ersten Jahr ohne Nuklearenergie.

Begonnen bei der Anti-Atomkraft-Bewegung in den 1970er Jahren, über die Katastrophe im Kernkraftwerk Tschernobyl 1986, wurde ein deutscher Atomausstieg im Rahmen des sogenannten Atomkonsens im Jahr 2000 ausgehandelt und der endgültige Ausstieg unter der Regierung Merkel nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011 beschlossen. Das ursprünglich geplante Ausstiegsdatum am 31. Dezembers 2022 wurde durch die Energiekrise im Rahmen einer Laufzeitverlängerung noch einmal um einige Monate verschoben.

Die Bilanz: Die Kernkraft konnte durch vermehrte Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien kompensiert werden, wie das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE diese Woche berichtete. Der gleichzeitige Rückgang bei fossilen Energieträgern wurde durch zusätzliche Stromeinsparung, private Verwendung von Photovoltaik, die Reduktion der Stromlast sowie durch Importe ausgeglichen.

Weltweiter Vergleich Energieträger
Bis 2022 hatte die Nuklearenergie in Deutschland noch einen Anteil von 6,4 % an der gesamten Energieversorgung. Bereits ohne Atomenergie sind beispielsweise Dänemark, Italien und Norwegen. Bild: Ember, Yearly Electricity Data (2023); Ember, European Electricity Review (2022); Energy Institute, Statistical Review of World Energy (2023), ourworldindata.org/energy | CC BY

Doch der Atomausstieg sorgt weiter für Diskussionen. So wird etwa behauptet, dass Deutschland zum Stromimporteur geworden sei oder der Atomstrom durch Kohle ersetzt wurde.

"Tatsächlich wurde die Stromerzeugung aus Kernkraft energetisch durch erneuerbare Energien ersetzt. Im ersten Jahr ohne Kernenergie wurden ungefähr 270 TWh erneuerbarer Strom erzeugt, 33 TWh mehr als im Vorjahreszeitraum. Unser Strommix ist so sauber wie nie zuvor."Prof. Bruno Burger, Verantwortlicher für die Datenplattform energy-charts.info des Fraunhofer ISE.

Die erneuerbaren Energien hatten zwischen April 2023 und April 2024 einen Anteil von 58,8 Prozent an der elektrischen Last. Zum Vergleich hatten die deutschen Kernkraftwerke im letzten Betriebsjahr zwischen April 2022 und April 2023 nur 29,5 TWh Strom erzeugt, was lediglich 6,3 Prozent der öffentlichen Nettostromerzeugung entspricht.

Rückgang bei fossilen Energien und Stromverbrauch

Parallel zum Anstieg bei erneuerbaren Energien nahm die Stromerzeugung aus fossilen Energien ab. So wurden im ersten Jahr ohne Kernenergie nur ungefähr 154,4 TWh Strom aus Kohle, Erdgas, Öl und Müll erzeugt, was deutlich unter den vergangenen Jahren und 26 Prozent unter dem Vorjahreswert liegt. Der Gesamtanteil fossiler Energien an der öffentlichen Nettostromerzeugung sank auf 33,7 Prozent, was zum einen an den hohen Preisen für Erdgas und Steinkohle und zum anderen an den hohen CO2-Zertifikatskosten liegt.

Wie die deutsche Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen Anfang des Monats bekanntgab, fiel der Wert des Energieverbrauchs im Jahr 2023 um 8,1 Prozent, aufgrund des leicht wärmeren Jahres 2023 witterungsbereinigt um 7,4 Prozent. Grund dafür waren das anhaltend hohe Energiepreisniveau und die schwache wirtschaftliche Entwicklung.

Die Gesamtlast fiel um 2,1 Prozent auf 459 TWh. Die Gründe dafür waren ebendiese Stromeinsparungen im Industrie- und Privatbereich, der Produktionsrückgang und höhere Eigennutzung von Photovoltaikstrom.

Waren im Jahr des Atomausstiegs die Strompreise massiv gestiegen – nicht zuletzt auch durch den Ukrainekrieg und die damit verbundene Energiekrise –, sind die Preise bis April 2024 sogar wieder auf das Niveau vom 4. Juni 2021 gefallen, wie die Datenplattform energy-charts.info des Fraunhofer ISE berichtet.

Steigende Importe durch bessere Börsenstrompreise in Skandinavien

Im ersten Jahr ohne Kernenergie stiegen zudem die Importe, und zwar unabhängig von der Kraftwerkskapazität: Einer Last von etwa 75 GW stehen in Deutschland etwa 90 GW an nicht-fluktuierenden Erzeugungskapazitäten gegenüber. Dazu kommen noch die erneuerbaren Energien wie Solarenergie mit ungefähr 85 GW, Windenergie von 70 GW sowie die Pumpspeicher mit 9,5 GW.

"Dass wir 23 Terawattstunden Strom importiert haben, gegenüber 21,3 Terawattstunden Export im Vorjahr, liegt also nicht an mangelnden Erzeugungskapazitäten in Deutschland. Grund sind die deutlich gefallenen Börsenstrompreise. Im Sommer haben die erneuerbaren Kraftwerke in den Alpen und in Dänemark, Norwegen und Schweden günstigen Strom erzeugt, so dass die deutschen Kohlekraftwerke nicht konkurrenzfähig waren. So kam auch über den Import viel Strom mit niedrigen Treibhausgasemissionen nach Deutschland."

Prof. Bruno Burger, Verantwortlicher für die Datenplattform energy-charts.info des Fraunhofer ISE.

Der Ausstieg aus der Kernkraft konnte also vorerst gut kompensiert werden. Der Anstieg beim Import war jedoch nicht durch den Wegfall der Kernkraftwerk zurückzuführen, sondern lag begründet in den niedrigen Erzeugungspreisen der erneuerbaren Kraftwerke in den Alpen und in Skandinavien.